Thomas Müntzer
In ähnlicher Weise wie Andreas Karlstadt hatte auch Thomas Müntzer (1468/70-1525) das mystische Erbe des späten Mittelalters bewahrt, dieses aber um Elemente eines Chiliasmus angereichert, der ihn seine Zeit als letzte Zeit vor dem Beginn einer Herrschaft Christi auf Erden sehen ließ. Die so gefärbte Predigt brachte ihn schon, als er ab Mai 1520 die Predigerstelle an der Marienkirche in Zwickau versah und wohl auch Kontakt mit den »Zwickauer Propheten« hatte, in Konflikt mit Altgläubigen, aber auch mit den Anhängern Luthers. Nach seiner Entlassung durch den Rat im April 1524 ging er nach Prag, wo er als Brief an die Böhmen und die gesamte Christenheit an Allerheiligen 1521 sein so genanntes Prager Manifest formulierte (Text a). Der hierin schon präsente Gedanke, dass Gott sich zur Durchsetzung seines Reiches der Auserwählten bediene, führte Müntzer, der ab April 1523 das Pfarramt in der kleinen sächsischen Exklave Allstedt versah, zur Suche nach sozial identifizierbaren Gruppen, die diesen Kampf führen konnten: Am 13. Juli 1524 versuchte er Herzog Johann und Kurprinz Johann Friedrich, als sie auf dem Schloss Allstedt weilten, in einer Predigt als Vorkämpfer für das Reich Christi zu gewinnen (Text b). So dürften es keine spezifischen sozialrevolutionären Vorstellungen gewesen sein, die ihn dazu führten, die 1524 beginnenden Bauemunruhen als Anzeichen der großen Geschichtswende zu sehen und entsprechend nun auf die Bekämpfer der Obrigkeit zu setzen (Text c). Nachdem ihn seine eigene Beteiligung an der Schlacht von Frankenhausen in Gefangenschaft gebracht hatte, wurde er am 27. Mai hingerichtet. Die Niederlage der Bauern begründete er damit, dass sie ihren eigenen Nutzen statt Gottes Ehre gesucht hätten.
Thomas Müntzer, Das Prager Manifest , 1. November 1521
Den unerträglichen und schlimmen Schaden der Christenheit habe ich mir tief betroffen zu Herzen genommen, nachdem ich mit ganzem Fleiß die Geschichte der alten Väter gelesen habe. Ich stelle fest, dass nach dem Tode der Apostelschüler die unbefleckte, jungfräuliche Kirche durch den geistlichen Ehebruch zur Hure geworden ist, und zwar wegen der Gelehrten, die immer oben sitzen wollen; das beschreibt Hegesipp1 und nach ihm Euseb2 im 22. Kapitel des 4. Buches3. Auch finde ich in keinem Konzil das wahrhaftige Zeugnis nach der lebendigen Ordnung des untrüglichen Gotteswortes. Es sind nichts als kindische Possen gewesen. Das ist alles durch den nachsichtigen Willen Gottes zugelassen worden, damit alles, was der Mensch vermag, hervorkommen konnte.
Es soll aber – Gott sei gepriesen – nicht noch länger so zugehen, dass die Pfaffen und Affen die christliche Kirche sind. Es sollen vielmehr die auserwählten Freunde des Gotteswortes auch prophezeien lernen, wie Paulus lehrt, damit sie wahrhaftig er-fahren, wie freundlich Gott – ach so herzlich gerne – mit all seinen Auserwählten redet.
Um solche Rede öffentlich bekannt zu machen, bin ich bereit, mein Leben um Gottes willen zu opfern. Gott wird wunderliche Dinge mit seinen Auserwählten tun, vor allem in diesem Lande. Denn die neue Kirche wird hier anfangen, und dieses Volk wird der ganzen Welt ein Spiegel [und Beispiel] sein. Darum rufe ich einen jeglichen Menschen auf, dass er dazu helfe, dass Gottes Wort verteidigt werden kann.
1 Hegesipp, antignostischer Schriftsteller, 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts.
2 Euseb von Caesarea (gest. 339).
3 Euseb, Kirchengeschichte IV,22,4 (PG 20,377-384).
Quelle: Thomas Müntzer, Schriften und Briefe, hg. von G. Franz, Gütersloh 1968 (QFRG 33), 493,31-494,20.
Textauszüge zitiert nach: Volker Leppin, Kirchen - und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Reformation, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2012, S. 107-108
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