Das »Schuldbekenntnis« Papst Hadrians VI., 25. November 1522
Am 9. Januar 1522 wurde Adrianus Florensz Boyens zum Papst gewählt. Mit ihm kam, nicht einmal zwei Jahre nach Ausspruch des Banns über Luther, ein humanistisch gesonnener Anhänger der niederländischen Devotio modema auf den Papstthron. Tatsächlich strebte er eine Reform der Kurie und der gesamten Kirche an — was aber, wie das sogenannte »Schuldbekenntnis«, die Instruktion, die er am 25. November 1522 seinem Nuntius auf den Nürnberger Reichstag mitgab und die dort am 3. Januar 1523 verlesen wurde, zeigt, keineswegs zu einer milderen Behandlung Luthers und seiner Anhänger führen sollte. Sein reformorientierter Pontifikat, der nur von einer kleinen Minderheit an der Kurie unterstützt wurde, blieb Intermezzo: Am 14. September 1523 starb der letzte Papst aus seinerzeit deutschen Gebieten vor Benedikt XVI. (seit 2005).
Wenn nun jemand sagt, Luther sei vom Apostolischen Stuhl ohne Anhörung und ohne Verteidigungsmöglichkeit verurteilt worden und deshalb müsse man ihn auf jeden Fall noch hören und dürfe ihn nicht verurteilen, bevor erwiesen sei, dass er im Unrecht sei, so antwortet in folgendem Sinne: Was zum Glauben gehört, ist um der göttlichen Autorität willen eben zu glauben, nicht zu beweisen. Ambrosius sagt: »Wenn es um Glauben geht, so lass Beweise weg; es sind Fischer, denen wir glauben, keine Logiker.«' Selbstverständlich sind auch wir der Ansicht, dass man ihm die Möglichkeit geben muss, sich zu verteidigen, soweit es um Tatsachenbehauptungen geht, d.h. ob er etwas gesagt, gepredigt, geschrieben hat oder nicht. In Fragen des göttlichen Rechts und der Sakramente aber muss man der Autorität der Heiligen und der Kirche folgen. Hinzu kommt, dass fast alle Abweichungen Luthers bereits früher von verschiedenen Konzilien verworfen worden sind.[...]
Da also Luther und seine Anhänger die Konzilien der heiligen Väter verurteilen, das heilige kanonische Recht (sacri canones) verbrennen und alles nach ihrem Gutdünken durcheinander bringen, ja, die ganze Welt in Aufruhr versetzen, kann es keinen Zweifel darüber geben, dass sie als Feinde des öffentlichen Friedens und Aufrührer (perturbatores) von allen, die diesen Frieden lieben, ausgerottet werden müssen.
Daneben sollst Du aber auch sagen, dass wir von ganzem Herzen bekennen, dass der Grund dafür, dass Gott diese Verfolgung seiner Kirche zulässt, in der Sünde der Menschen liegt, besonders der Priester und der Prälaten der Kirche.[...]
Wir wissen, dass es an diesem Heiligen Stuhl schon seit einigen Jahren viele gräuliche Missbräuche in geistlichen Dingen und Vergehen gegen die göttlichen Gebote gegeben hat, ja, dass eigentlich alles pervertiert worden ist. So ist es kein Wunder, wenn sich die Krankheit vom Haupt auf die Glieder, d.h. von den Päpsten auf die unteren Kirchenführer ausgebreitet hat. Wir alle, d.h. wir Prälaten und Kleriker (ecclesiastici), sind abgewichen; ein jeder sah auf seinen Weg (Jes 53,6), und da ist schon lange keiner mehr, der Gutes tut, auch nicht einer (Ps 14,3). Deshalb müssen wir alle Gott die Ehre geben und uns vor ihm demütigen; ein jeder von uns muss erkennen, wo er gefallen ist, und sich selbst richten, bevor er von Gott mit der Rute seines Zorns gerichtet wird (1 Kor 11,31). Soweit wir selbst betroffen sind, darfst Du versprechen, dass wir jede Anstrengung unternehmen werden, dass als erstes diese Kurie, von der wohl das ganze Übel ausgegangen ist, reformiert wird (reformetur), so dass sie in der gleichen Weise, wie sie zum Verderben aller Untergebenen Anlass gegeben hat, nun auch ihre Genesung und Reform in allen Dingen (reformatio omnium) bewirkt. Dazu fühlen wir uns umso mehr verpflichtet, als wir sehen, dass die ganze Welt eine solche Reform sehnlichst begehrt.
Wir haben es Dir wohl schon gesagt, dass wir diesen Pontifikat niemals für uns begehrt haben. Wenn es nach uns gegangen wäre, so hätten wir viel lieber ein Privat-leben geführt und Gott in heiliger Ruhe gedient, ja wir hätten das Amt ausdrücklich abgelehnt, wenn uns nicht die Furcht Gottes und die Aufrichtigkeit unserer Wahl sowie die Furcht vor einem Schisma im Falle unserer Weigerung gezwungen hätten, es anzunehmen. Wir haben also die höchste Würde auf uns genommen, nicht um unserer Herrschsucht zu frönen oder unsere Verwandten reich zu machen, sondern um Gottes willen zu gehorchen, seine entstellte Braut, die allumfassende (deformata eius sponsa ecclesia catholica) Kirche zu reformieren, den Unterdrückten zu Hilfe zu kommen und die Gelehrten und Tugendhaften, die schon lange unbeachtet geblieben sind, aufzurichten und auszuzeichnen — kurz: um alles zu tun, was ein guter Papst und rechtmäßiger Nachfolger des seligen Petrus tun muss. Natürlich darf sich niemand wundern, wenn wir nicht alle Irrtümer und Missbräuche sofort beseitigen können. Die Krankheit hat sich im Laufe der Zeit so tief eingefressen, dass man, um sie zu heilen, nur mit größter Behutsamkeit vorgehen darf und nicht nur ein, sondern viele verschiedene Mittel anwenden muss. Dabei muss man als Erstes den größeren und gefährlicheren Übeln begegnen, damit wir nicht vor lauter Eifer, alles auf einmal zu reformieren, alles erst recht in Unordnung bringen.
Quelle: DRTA.JR 3,396,15-25; 397,1-8.14-398,8.
Textauszüge zitiert nach: Volker Leppin, Kirchen - und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Reformation, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2012, S. 246-47.
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