Nikolaus Kopernikus, »De revolutionibus orbium coelestium«. Widmung an Papst Paul III. (1543)
Nikolaus Kopernikus (Copernicus, eigentlich Kopernigk, 1473 -1543) hatte sich neben humanistischen Studien in den verschiedensten Richtungen ausgebildet: Mathematik und Astronomie in Krakau (1491—1495), Bologna und Rom (1496—1500), Medizin und Jura in Padua sowie Ferrara (ab 1501); 1506 wurde er Leibarzt und Privatsekretär seines Onkels Lukas Watzenrode, des Bischofs von Ermland (1489-1512). Seine (private) Hauptbeschäftigung war die Astronomie, in der er auch seine entscheidende wissenschaftliche Leistung erbrachte. Kopernikus bahnte den Weg zur Begründung des heliozentrischen Weltsystems.
Vollständig bewußt bin ich mir, Heiligster Vater, es werden gewisse Leute, sobald sie vernehmen, daß ich in meinem Werk über den Lauf der Himmelskörper der Erdkugel gewisse Bewegungen zuschreibe, sofort ausrufen, eine solche Lehre sei durchaus verwerflich. Nun bin ich keineswegs so sehr von meinen Ansichten eingenommen, daß ich nicht Wert darauf legen sollte, was andere darüber urteilen, und obschon ich weiß, daß die Gedanken eines Philosophen weitab liegen von dem Urteil der Menge, da es seine Aufgabe ist, in allen Dingen die Wahrheit zu erforschen, soweit dies von Gott der menschlichen Vernunft gestattet ist, so glaube ich dennoch, man müsse von dem Wahren und Richtigen völlig abweichende Ansichten vermeiden. Als ich daher bei mir erwog, wie jene Männer, welche durch die Übereinstimmung vieler Jahrhunderte die Ansicht für festbegründet erachten, daß die Erde unbeweglich in der Mitte des Himmels gleichsam als das Zentrum desselben gesetzt sei — wie jene Männer meine Theorie als widersinnig bezeichnen werden, wenn ich im Gegenteil behaupte, daß die Erde sich bewegt: so habe ich lange mit mir gekämpft, ob ich meine Erläuterungen und Beweise für diese Bewegung [der Erde] dem Drucke übergeben sollte1 [...]
Allein vielleicht wird Deine Heiligkeit sich gar nicht so sehr darüber wundern, daß ich es gewagt habe, meine Arbeiten dem Drucke zu übergeben, da ich ja bei ihnen keine Mühe gescheut und meine Gedanken über die Bewegung der Erde eingehend niedergeschrieben habe. Wohl aber wird Deine Heiligkeit von mir zu hören erwarten, wie ich auf den kühnen Gedanken gekommen bin, gegen die allgemeine Ansieht der Mathematiker und vielleicht gar gegen den gesunden Menschenverstand [contra communem sensum], eine Bewegung der Erde anzunehmen. Gern wünsche ich daher, Deiner Heiligkeit nicht zu verhehlen, daß nichts anderes mich veranlaßt hat, für die Bewegung der Himmelskörper eine neue Theorie zu suchen als die Erwägung, daß die Mathematiker bei ihren Untersuchungen hier-über keineswegs untereinander übereinstimmen. Denn zunächst sind sie in betreff der Bewegung der Sonne und des Mondes so unsicher, daß sie nicht einmal die stetige Größe der Jahresperiode durch Beobachtung feststellen können.
Sodann bringen sie in betreff der Bewegung der Sonne und des Mondes, wie der fünf andern Planeten, weder dieselben Grundsätze und Voraussetzungen noch dieselben Beweise für die erscheinenden Umdrehungen und Bewegungen in Anwendung .. . Auch haben sie die Hauptsache, die Gestalt des Weltalls und eine bestimmte Symmetrie seiner Teile, nicht zu finden oder aus jenen Kreisen herzuleiten vermocht .. .
Es muß also im Verlauf ihrer sogenannten methodischen Beweisführung etwas Wesentliches übergangen sein oder etwas Fremdartiges, nicht zur Sache Gehöriges sich eingeschlichen haben. Dies würde ihnen auf keinen Fall begegnet sein, wenn sie festen Grundsätzen gefolgt wären. Denn wenn sie nicht von trügerischen Hypothesen ausgegangen wären, so würde sich alles, was aus ihnen hergeleitet wird, zweifelsohne als richtig bewähren.[...]
Nachdem ich nun die Bewegungen angenommen, die ich der Erde in nachstehen-dem Werke zuerteile, fand ich endlich nach langjähriger und sorgfältiger Untersuchung, daß, wenn die Bewegungen der übrigen Planeten auf die Umkreisung der Erde bezogen und nach der Umwälzung eines jeden Gestirnes berechnet werden, nicht bloß die an ihnen beobachteten Erscheinungen daraus folgerichtig sich erklären lassen, sondern auch die Reihenfolge und Größe der Gestirne und alle ihre Bahnen und der Himmel selbst eine solche harmonische Ordnung darbieten wer-den, daß in keinem Teil ohne Verwirrung der übrigen Teile und des ganzen Universums irgend etwas umgestellt werden könne .. .
Ich zweifle nicht daran, daß Mathematiker von Geist und Gelehrsamkeit mir bei-stimmen werden, wenn sie — da die Philosophie dies vor allem fordert — nicht oberflächlich, sondern gründlich die Beweise, die ich für meine Ansicht in diesem Werke beibringe, durchgehen und bei sich überdenken wollen.
Damit aber Gelehrte und Ungelehrte gleichmäßig sehen, daß ich durchaus niemandes Urteil scheue, so habe ich Deiner Heiligkeit lieber als irgendeinem andern diese meine Untersuchungen widmen mögen; und zwar deshalb, weil Du auch in diesem so entlegenen Winkel der Erde, in dem ich lebe, durch die Würde Deines Amtes wie durch die Liebe zu allen Wissenschaften und auch zur Mathematik hochgefeiert bist, so daß Du durch Dein Ansehen und Urteil mich vor dem Biß der Verleumder schützen kannst, wiewohl das Sprichwort sagt, daß es kein Mittel gebe gegen den Biß der Sykophanten .. .[...]
1. Die Drucklegung des Werkes wurde 1543 von Kopernikus' Schüler, dem Wittenberger Professor J. Rheticus besorgt, der auch in eigenen Schriften um die Verbreitung der kopernikanischen Gedanken bemüht war.
Quelle: Nikolaus Kopernikus, Gesamtausgabe, hg. von der Kopernikus-Kommission, 2, 1949, S. 3—7; übers. nach: H. Kesten, Copernicus und seine Welt. Biographie, 1973, S. 35—40. —
Textauszüge zitiert nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 200-204
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