Editorische Vorbemerkung
Diese Schrift Luthers hat eine besondere zeitgeschichtliche Bedeutung. Im Verfolg der Reformation war nämlich die Studentenzahl an den deutschen Universitäten (mit Ausnahme Wittenbergs) rapide zurückgegangen. Das lag daran, daß durch das Aufhören des Pfründenwesens in weiten Gebieten Deutschlands der materielle Anreiz zum Studium der Theologie wie der Rechtswissenschaft (die ja weithin kanonisches Recht war) weggefallen war. Dazu kam eine, insbesondere durch die Schwärmer genährte, Wissenschaftsfeindlichkeit, gegen deren Auswirkungen Luther selbst in Wittenberg zu kämpfen hatte (hier war Karlstadt ihr Verfechter). Parallel dazu ging der Verfall der auf die Universität vorbereitenden Schulen. Sie waren bisher vielfach aus den Erträgnissen geistlicher Stiftungen finanziert worden. Wurden diese säkularisiert, hatten die Schulen mit größten Schwierigkeiten zu kämpfen, falls sie nicht überhaupt eingingen – es sei denn, daß die zuständige Obrigkeit die aus der ursprünglich geistlichen Stiftung fließenden Mittel weiter für die Aufrechterhaltung der Schulen verwandte. In die mit dieser Umschichtung im Zusammenhang stehenden Fragen hat Luther praktisch einzugreifen versucht (vgl. z.B. die mit einem empfehlenden Vorwort Luthers erschienene »Kastenordnung« in Leisnig, 1523). Sehr viel größeren Erfolg als damit hatte Luther, als er das Gewissen der Öffentlichkeit zu wecken suchte. Seine Schrift »An die Ratsherren ...« (nicht an die Fürsten, denn die Lateinschulen, die er im wesentlichen im Auge hatte, lagen im Zuständigkeitsbereich der Städte) hat in einer ganzen Reihe von Städten zu Schulreformen und auch zu Neugründungen von Schulen geführt. Aus dieser in den ersten Wochen des Jahres 1524 erschienenen (und von Lukas Cranach gedruckten) Schrift sind hier ausgewählte Abschnitte wiedergegeben. (zit. nach Kurt Aland)
Martin Luther, An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen, 1524
Ja, wendest du abermals ein, wenn man gleich Schulen haben sollte und müßte, was ists uns aber von Nutzen, die lateinische, griechische und hebräische Sprache und andere Wissenschaften1 zu lehren? Könnten wir die Bibel und Gottes Wort doch wohl deutsch lehren, die uns genug zur Seligkeit ist? Antwort: Ja, ich weiß leider wohl, daß wir Deutschen immer Bestien und tolle Tiere sein und bleiben müssen, wie uns denn die umliegenden Länder nennen und wir auch wohl verdienen. Mich wundert aber, warum wir nicht auch einmal sagen: Was sollen uns Seide, Wein, Gewürze und die fremde, ausländische Ware, so wir doch selbst Wein, Korn, Wolle, Flachs, Holz und Stein in deutschen Landen die Fülle zur Nahrung haben, sondern auch eine reiche Auswahl2 zur Ehre und Schmuck? Die Künste und Sprachen, die uns ohne Schaden, ja größerer Schmuck, Nutzen, Ehre und Frommen sind, sowohl die heilige Schrift zu verstehen wie weltlich Regiment zu führen, wollen wir verachten; und die ausländischen Waren, die uns weder von Nöten noch von Nutzen3 sind, dazu uns bis auf die Knochen schinden, die wollen wir nicht entbehren.4 Heißen das nicht billig deutsche Narren, und Bestien?
Zwar, wenn kein anderer Nutzen an den Sprachen wäre, sollte doch uns das wahrlich erfreuen und entzünden, daß sie so eine edle feine Gabe Gottes sind, mit der Gott uns Deutsche jetzt so reichlich, mehr als alle Länder5 heimsucht und begnadet. Man sieht nicht viel (davon), daß der Teufel diese durch die hohen Schulen und Klöster hätte aufkommen lassen. Ja, sie haben allzeit aufs höchste dagegen getobt und toben auch noch. Denn der Teufel roch den Braten wohl: wo die Sprachen hervorkämen, würde sein Reich ein Loch bekommen, das er nicht leicht wieder zustopfen könnte. Weil er dem nun nicht hat wehren können, daß sie hervorkämen, denket er doch, sie nun so schmal zu halten, daß sie von selbst wieder vergehen und fallen sollen. Es ist ihm damit nicht ein lieber Gast ins Haus gekommen, darum will er ihn auch so speisen, daß er nicht lange bleiben solle. Diese böse Tücke des Teufels sehen unser gar wenig, liebe Herren.
Darum, liebe Deutschen, laßt uns hier die Augen auftun, Gott für das edle Kleinod danken und fest darüber wachen,6 daß es uns nicht wieder entrissen7 werde und der Teufel nicht seinen Mutwillen an uns auslasse.8 Denn das können wir nicht leugnen: obwohl das Evangelium allein durch den heiligen Geist gekommen ist und täglich kommt, so ists doch durch das Mittel der Sprachen9 gekommen und hat auch dadurch zugenommen, muß auch dadurch behalten werden. Denn gleich, als Gott durch die Apostel in alle Welt das Evangelium kommen lassen wollte, gab er die »Zungen« (Apg. 2, 4 ff.) dazu. Und er hatte auch zuvor durch der Römer Regiment die griechische und lateinische Sprache so weit in alle Lande ausgebreitet, auf daß sein Evangelium ja bald fern und weit Frucht brächte. So hat er jetzt auch getan. Niemand hat gewußt, warum Gott die Sprachen(kenntnis)10 hervorkommen ließ, bis daß man jetzt erst sieht, daß es um des Evangeliums willen geschehen ist, welches er hernach hat offenbaren und dadurch des Endchrists Regiment aufdecken und zerstören wollen. Deshalb hat er auch Griechenland dem Türken gegeben,11 auf daß die Griechen, verjagt und zerstreut, die griechische Sprache aus (dem Lande) brächten und ein Anfang würden, auch andere Sprachen mit zu lernen.
So lieb nun wie uns das Evangelium ist, so eifrig laßt uns über den Sprachen wachen.12 Denn Gott hat seine Schrift nicht umsonst allein in den zwei Sprachen schreiben lassen: das Alte Testament in der hebräischen, das Neue in der griechischen. Wenn Gott sie nun nicht verachtet, sondern vor allen andern zu seinem Wort erwählt hat, sollen auch wir sie vor allen andern ehren. Denn Paulus rühmte das als eine besondere Ehre und Vorteil der hebräischen Sprache, daß Gottes Wort darinnen gegeben ist, da er Röm. 3, 1 f. sagte: »Was hat die Beschneidung Vorteil oder Nutzen? Sehr viel. Zum ersten: ihnen ist anvertraut, was Gott geredet hat.« Das rühmt auch der König David Ps. 147, 19: »Er zeigt Jakob sein Wort, Israel seine Sitten und Rechte.« Er hat keinem Volk so getan, noch ihnen seine Rechte offenbart. Daher heißet auch die hebräische Sprache »heilig«. Und Paulus nennet sie Röm. 1, 2 die »heilige Schrift«, ohne Zweifel um des heiligen Wortes Gottes willen, das drinnen enthalten ist. So kann auch die griechische Sprache wohl »heilig« heißen, weil sie von andern dazu erwählt ist, daß das Neue Testament drin geschrieben würde und aus ihr, wie aus einem Brunnen, durchs Übersetzen in andere Sprachen geflossen ist und sie auch geheiligt hat.
Und laßt uns das gesagt sein, daß wir das Evangelium ohne die Sprachen nicht gut behalten werden.13 Die Sprachen sind die Scheide, darin dies Messer des Geistes steckt. Sie sind der Schrein, darinnen man dies Kleinod trägt. Sie sind das Gefäß, darinnen man dies Kleinod trägt. Sie sind das Gefäß, darinnen man diesen Trank fasset. Sie sind die Kemnate,14 darinnen diese Speise liegt. Und wie das Evangelium selbst zeigt, sie sind die Körbe, darinnen man diese Brote und Fische und Brocken aufbewahrt (Matth. 14, 20). Ja, wo wirs versehen, daß wir (da Gott vor sei) die Sprachen fahrenlassen, so werden wir nicht allein das Evangelium verlieren, sondern auch endlich dahin gelangen, daß wir weder lateinisch noch deutsch recht reden oder schreiben können. Dessen laßt uns das elende, greuliche Beispiel der hohen Schulen und Klöster zum Beweis und zur Warnung nehmen, darin man nicht allein das Evangelium verlernt, sondern auch die lateinische und deutsche Sprache verderbt hat, daß die armen Leute15 schier zu lauter Bestien geworden sind, weder deutsch noch lateinisch recht reden oder schreiben können und beinahe auch die natürliche Vernunft verloren haben. Darum habens die Apostel auch selbst für nötig angesehen, daß sie das Neue Testament in die griechische Sprache faßten und anbanden; ohne Zweifel, damit sie es uns daselbst wie in einer heiligen Lade sicher und zuverlässig verwahrten. Denn sie haben all das vorhergesehen, was (damals) zukünftig war und nun so eingetroffen ist: wo es allein in die Köpfe gefaßt (d.h. mündlich überliefert) würde, wie manche wilde, wüste Unordnung und Verwirrung,16 so mancherlei Sinne, Meinungen und Lehren sich in der Christenheit erheben würden; welchen auf keine Weise zu wehren, noch die Einfältigen zu schützen wären, wo nicht das Neue Testament sicher in Schrift und Sprache gefaßt wäre. Darum ists sicher: wo nicht die Sprachen bleiben, da muß zuletzt das Evangelium untergehen.
Das hat auch bewiesen und zeigt noch an die Erfahrung. Denn sobald nach der Apostel Zeit die (Ur-)Sprachen aufhörten, nahmen auch das Evangelium und der Glaube und die ganze Christenheit immer mehr und mehr ab, bis daß sie unter dem Papst ganz versunken ist. Und seit der Zeit die (Ur-)Sprachen dahingefallen sind, ist nicht viel Besondres in der Christenheit zu sehen gewesen, aber gar viel greulicher Greuel aus Unkenntnis der (Ur-)Sprachen geschehen. Ebenso ist es umgekehrt: weil jetzt die Sprachen hervorgekommen sind, bringen sie ein solches Licht mit sich und tun solche großen Dinge, daß sich alle Welt verwundert und bekennen muß, daß wir das Evangelium so lauter und rein haben, so sehr17 es die Apostel gehabt haben, und daß es ganz in seine erste Reinheit gekommen ist und sehr viel reiner ist, als es zur Zeit des Hieronymus oder Augustin gewesen ist. Und in Summa: der heilige Geist ist kein Narr, gehet auch nicht mit leichtfertigen, unnötigen Sachen um, der hat die Sprachen in der Christenheit für so von Nutzen und von Nöten erachtet, daß er sie oftmals vom Himmel mit sich gebracht hat, was uns allein genugsam bewegen sollte, dieselben mit Fleiß und Ehren zu suchen und nicht zu verachten, weil er sie nun selbst wieder auf Erden erweckt. Ja, wendest du ein: es sind viel Väter selig geworden, haben auch gelehret ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen. Das ist wahr. Wo rechnest du aber auch das hin, daß sie so oft in der Schrift fehlgegangen sind? Wie oft irrt Augustin im Psalter und anderer Auslegung ebensowohl wie Hilarius, ja auch alle, die ohne die (Kenntnis der Ur-) Sprachen sich die Schrift auszulegen unterwunden haben? Und ob sie gleich etwa recht geredet haben, sind sie doch der Sache nicht sicher gewesen, ob das recht an dem Ort stehe, da sie es hindeuten. Wie, damit ich ein Beispiel dafür gebe: recht ists geredet, daß Christus Gottes Sohn ist. Aber wie spöttisch lautet es in den Ohren der Widersacher, da sie die Begründung dafür aus dem Psalm 110, 3 anführten, wo doch in der hebräischen Sprache nichts von der Gottheit geschrieben steht. Wenn man aber den Glauben so mit ungewissen Gründen und unzutreffenden Sprüchen18 schützet, ists für die Christen nicht eine Schmach und Spott bei den Gegnern,19 die der Sprache kundig sind? Sie werden nur halsstarriger im Irrtum und halten unsern Glauben mit gutem Schein für einen Menschentraum.
Wessen ist nun die Schuld, daß unser Glaube so zuschanden wird? Daß wir die (Ur-) Sprachen nicht können! Und ist hier keine Hilfe, als die (Ur-) Sprachen können! Wurde nicht Hieronymus gezwungen, den Psalter von neuem aus dem Hebräischen zu übersetzen, um deswillen, daß, wo man mit den Juden auf der Grundlage unseres Psalters verhandelte, spotten sie unser, daß es nicht so im Hebräischen stünde, wie es die Unsern anführten? Nun sind aller alten Väter Auslegungen, die ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen die Schrift behandelt haben (obwohl sie nichts Unrechtes lehren), doch dergestalt, daß sie sehr oft eine unsichere, unangemessene und unpassende Sprache20 führen. Sie tappen wie ein Blinder an der Wand, daß sie sehr oft den rechten Text verfehlen und ihm eine Nase nach ihrer Meinung machen, wie z.B. dem droben angezeigten Psalmvers, so daß auch Augustin selbst bekennen muß, wie er in De doctrina christiana21 schreibt, daß einem christlichen Lehrer, der die Schrift auslegen soll, über die lateinische (hinaus) auch die griechische und hebräische Sprache vonnöten sind. Es ist sonst unmöglich, daß er nicht allenthalben anstoße, ja, es ist noch Not und Mühe da, wenn einer die Sprachen schon gut kann.
Darum ists ein völlig anderes Ding22 um einen schlichten Prediger des Glaubens und um einen Ausleger der Schrift oder, wie es Paulus 1. Kor. 12, 28 ff.; 14, 26 ff. nennet, einen Propheten. Ein schlichter Prediger (das ist wahr) hat aus der Übersetzung so viel helle Sprüche und Texte, daß er Christus verstehen, lehren und heilig leben und andern predigen kann. Aber die Schrift auszulegen und fortlaufend zu behandeln23 und wider die irrigen Anführer der Schrift zu streiten, ist er zu gering, das läßt sich ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen nicht tun. Nun muß man ja in der Christenheit solche Propheten haben, die die Schrift treiben und auslegen und auch zum Streit taugen, und ist es nicht genug am heiligen Leben und recht Lehren. Darum sind die (Ur-) Sprachen unbedingt und durchaus in der Christenheit vonnöten, gleichwie die Propheten oder Ausleger, obgleichs nicht not(wendig) ist noch sein muß, daß ein jeglicher Christ oder Prediger ein solcher Prophet sei, wie Paulus 1. Kor. 12, 6 ff. und Eph. 4, 11 sagt.
Daher kommts, daß seit der Apostel Zeit die Schrift so finster geblieben ist und nirgends sichere (gegen Angriffe) beständige Auslegungen darüber geschrieben sind. Denn auch die heiligen Väter haben sich, wie gesagt, oft geirrt. Und weil sie der (Ur-) Sprachen unwissend gewesen, sind sie gar selten eins: der (ver)fährt so, der (ver)fährt so. Bernhard von Clairvaux24 ist ein Mann von großem Geist gewesen, daß ich ihn schier über alle Lehrer zu setzen wagte, die berühmt sind, sowohl alte und neue. Aber siehe, wie er mit der Schrift so oft, obwohl geistlich, spielt und sie aus dem rechten Sinn (hinaus)führet. Deshalb haben auch die Sophisten25 gesagt, die Schrift sei finster; sie haben gemeint, Gottes Wort sei von Natur so finster und rede so seltsam. Aber sie sehen nicht, daß aller Mangel an der (Unkenntnis der Ur-) Sprachen liegt, sonst wäre nichts Klareres als Gottes Wort je geredet, wo wir die Sprachen verstünden. Ein Türke muß mir wohl finster reden, welchen doch ein türkisch Kind von sieben Jahren gut versteht,26 weil ich die Sprache nicht kenne.
Darum ist es auch ein tolles Vornehmen gewesen, daß man die Schrift durch der Väter Auslegung und viel Bücher und Glossen lesen hat lernen wollen. Man sollte sich dafür auf das (Studium der Ur-) Sprachen gelegt haben. Denn die lieben Väter, weil sie ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen gewesen sind, haben sie zuweilen mit vielen Worten sich an einem Spruch abgemüht27 und dennoch nur kaum hintennach gemessen und halb geraten, halb gefehlt. So läufst du dem mit viel Mühe nach und könntest dieweil durch die (Kenntnis der Ur-) Sprachen der Sache selbst viel besser raten als der, dem du folgst. Denn wie die Sonne im Vergleich zum Schatten ist, so ist die (Ur-) Sprache im Vergleich zu aller Väter Glossen. Weil es denn nun den Christen gebührt, sich in der heiligen Schrift zu üben als ihrem ihnen gehörenden einzigen Buch und es eine Sünde und Schande ist, daß wir unser eigenes Buch nicht kennen und auch unseres Gottes Sprache und Worte nicht kennen, so ists noch viel mehr Sünde und Schande, daß wir nicht (die Ur-) Sprachen lernen, besonders wenn uns Gott jetzt Leute und Bücher und alles darbietet und gibt, was dazu dienet und uns gleichsam dazu anreizt und sein Buch gern offen haben wollte. O wie froh sollten die lieben Väter gewesen sein, wenn sie so zur heiligen Schrift hätten kommen und die Sprache lernen können, wie wir können! Wie haben sie mit so großer Mühe und Fleiß kaum die Brocken erlangt, da wir mit halber, ja schier ohne alle Mühe das ganze Brot gewinnen können. O wie beschämt ihr Fleiß unsere Faulheit; ja, wie hart wird Gott auch solchen unsern Unfleiß und Undankbarkeit rächen!
Dahin gehöret auch, daß Paulus 1. Kor. 14, 27 ff. will, daß in der Christenheit über alle Lehre das Urteil sein soll. Dazu ist allerdings vonnöten, die (Ur-) Sprache zu wissen. Denn der Prediger oder Lehrer kann wohl die Bibel durch und durch lesen, wie er will, er treffe oder verfehle (den Sinn), wenn niemand da ist, der da urteile, ob ers recht mache oder nicht. Soll man denn urteilen, so muß ausreichende Kenntnis der Sprachen28 da sein, sonst ists verloren. Darum, obwohl der Glaube und das Evangelium durch schlichte Prediger ohne (Kenntnis der Ur-) Sprachen gepredigt werden kann, so geht es doch schlecht und schwach,29 und man wirds zuletzt müde und überdrüssig und (es) fällt zu Boden. Aber wo die (Ur-) Sprachen sind, da gehet es frisch und stark und wird die Schrift durchgearbeitet30 und findet sich der Glaube immer neu, durch andere und aber andere Worte und Werke; daß Psalm 29, 931 solch Studieren in der Schrift einer Jagd vergleicht und sagt, Gott öffne den Hirschen die dichten Wälder, und Psalm 1, 3 einem Baum, der immer grünet und immer frisch Wasser hat.
Es soll uns auch nicht irremachen, daß sich etliche des Geistes rühmen und die Schrift geringachten, etliche auch wie die böhmischen Brüder32 die Sprachen nicht für nützlich achten. Aber lieber Freund: Geist hin, Geist her, ich bin auch im Geist gewesen und habe auch Geist gesehen – wenns je gelten soll, eigenes Fleisch zu rühmen -, vielleicht mehr, als eben dieselben in einem ganzen Jahr sehen werden, wie sehr sie auch sich rühmen. Auch hat mein Geist sich etwas betätigt,33 so doch ihr Geist im Winkel gar still ist und nicht viel mehr tut, als daß er seinen Ruhm erhebt.34 Das weiß ich aber gut, wie sehr der Geist alles allein tut, wäre ich doch allen Büschen (d.h. dem Ziel) zu fern gewesen, wo mir nicht die Sprachen geholfen und mich der Schrift sicher und gewiß gemacht hätten. Ich hätte auch wohl fromm sein und in der Stille recht predigen können, aber den Papst und die Sophisten mit dem ganzen endchristlichen35 Regiment würde ich wohl haben sein lassen, was sie sind. Der Teufel achtet meinen Geist nicht so sehr wie meine Sprache und Feder in der Schrift. Denn mein Geist nimmt ihm nichts als mich allein. Aber die heilige Schrift und (die Ur-) Sprachen machen ihm die Welt zu eng, und das tut ihm Schaden in seinem Reich.
So kann ich auch die böhmischen Brüder darin gar nicht loben, daß sie die (Ur-) Sprachen verachten. Denn ob sie gleich recht lehrten, so müssen sie doch gar oft den rechten Text verfehlen und auch ungerüstet und ungeschickt bleiben, für den Glauben wider den Irrtum zu fechten. Dazu ist ihre Sache so finster und auf eine eigene Weise gezogen, außer der Schrift Weise zu reden, daß ich besorge, es sei oder werde nicht lauter bleiben. Denn es ist gar gefährlich, von Gottes Sachen anders zu reden oder mit andern Worten, als Gott sie selbst braucht. In Kürze: sie mögen bei sich selbst heilig leben und lehren. Aber weil sie ohne (Kenntnis der Ur-) Sprache bleiben, wird ihnen mangeln müssen, was allen andern mangelt, daß sie nämlich die Schrift nicht sicher und gründlich behandeln noch andern Völkern nützlich sein können. Weil sie aber das wohl tun könnten und nicht tun wollen, mögen sie zusehen, wie es vor Gott zu verantworten sei.
[WA 15, 33–53] Auszüge zit. nach Kurt Aland, Luther deutsch, Bd. 7, Stuttgart 1967, S. 226-229.
Anmerkungen
1 Eig.: »freye künste« (entsprechend dem damaligen Aufbau des Wissenschaftssystems und der Universitäten).
2 Eig.:»die kür und wal«.
3 Eig.:»wider not noch nütze«.
4 Eig.:»nicht geratten«.
5 Eig.:»fast uber alle lender«.
6 Eig.:»fest drob hallten«.
7 Eig.:»wider entzuckt«.
8 Eig.:»mutwillen büsse«.
9 Eig.:»durch mittel der sprachen«, besser: durch Vermittlung der Sprachen.
10 Luther schreibt hier (und in allen entsprechenden Fällen) nur »sprachen«.
11 Mit der Einnahme Konstantinopels 1453 wurde die Eroberung des Landes abgeschlossen.
12 Eig.:»hallten«.
13 Eig.:»wol werden erhallten«.
14 Hier neutral = Raum.
15 Eig.:»elenden leut«.
16 Eig.:»unordnung und gemenge«, »dunckel und leren«.
17 Eig.:»fast alls«.
18 Eig.:»feylsprüchen«.
19 Eig.:»widder fechtern«.
20 Eig.:»fast offt ungewisse, unebene und unzeyttige sprache«.
21 De doctr. christ. II, 9, 14; 11, 16 ML 34, 42 f.
22 Eig.:»gar viel eyn ander ding«.
23 Eig.:»zu handeln für sich hyn«.
24 Bernhard von Clairvaux (1090-1153), einer der führenden Theologen des Mittelalters, auf den Luther oft Bezug nimmt.
25 D.h. die katholischen Theologen.
26 Eig.:»wol vernympt«.
27 Eig.: »kaum hynnach geomet«.
28 Eig.: »kunst der sprachen«.
29 Eig.: »faul und schwach«.
30 Eig.: »durch trieben«.
31 Luther bezieht sich (versehentlich) auf den 128. Psalm.
32 Eig.: »brüder Valdenses«.
33 Eig.: »beweyset«.
34 Eig.: »rhum auff wirfft«.
35 Antichristlich.
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