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Stalin-Note 1952
 «  6. Die Grundsatzbesprechung vom 1. April 1952: PPS versus Deutschlandabteilung des State Department  » 

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6. Die Grundsatzbesprechung vom 1. April 1952: PPS versus Deutschlandabteilung des State Department

6. Die Grundsatzbesprechung vom 1. April 1952: PPS versus Deutschlandabteilung des State Department


Die Diskrepanzen zwischen den USA und ihren Verbündeten in Europa, die sich bei den Beratungen über die westliche Antwort auf die Stalin-Note gezeigt hatten, waren mit der Absendung der ersten gemeinsamen Note vom 25. März keineswegs erledigt. Innerhalb der amerikanischen Administration setzte jetzt ein in seinen Einzelheiten noch nicht hinreichend untersuchter, durchaus ambivalenter Klärungsprozess darüber ein, in welchem Verhältnis die immer wieder auch öffentlich postulierten Zielvorgaben von Wiedervereinigung und Westintegration zueinander standen und wie das Interesse der amerikanischen Außenpolitik in bezug auf die Sowjetunion überhaupt zu definieren ist. Hierbei ergriff der Politische Planungsstab abermals die Initiative und sprach sich in einem neuerlich von R.W. Tufts verfassten Memorandum vom 27. März 1952 an Außenminister Acheson noch einmal für ein offensives Vorgehen in der Wahlfrage aus, falls die sowjetische Antwort in die Richtung freier Wahlen weise.

»If the Russian rejoinder to our reply involves action pointing toward free elections, we will have to give more weight than we now do to the possibility that there has been a change in Russian policy. And we should consider now how we might best deal with a move toward free elections by the Russians [ ... ] In the event that Russian policy has changed, we want to make them pay as high a uce as possible since we will be forced to give up a line of development in whicl ave made a large investment.

If the second Russian note suggests that this may be our problem, S/P believes that the second Western note should seek to compel the Russians either to abandon their game or to go quickly all the way to free elections. It is recognized that it will be difficult to draft a note which will compel the Russians to make such a choice and perhaps even more diffieult to sell it to our allies [. . .] Nevertheless, the effort to draft such a note and to pre are our allies for the possible need for such a note is believed worthwile. A note of Tis kind would probably take the Russians by surprise. It should bring home to them that the unification game, if it is to be played at all, will be played seriously and to a conclusion.« [33]

Vor dem Hintergrund der immer deutlicher zutage tretenden Meinungsverschiedenheiten im State Department wie auch in der amerikanischen Öffentlichkeit [34] über die bisherige westliche Notenpolitik kam es am 1. April 1952 im Büro des Stellvertretenden Unterstaatssekretärs Matthews zu einer Grundsatzdiskussion über die möglichen Optionen und Implikationen der amerikanischen Deutschlandpolitik [35]. In dieser Besprechung der führenden Beamten des State Department wurde die überfällige Frage, ob man denn die Wiedervereinigung überhaupt wolle, erstmals in aller Offenheit erörtert. Unter Verweis auf das Memorandum des Politischen Planungsstabes vom 27. März standen als wichtigste Fragen auf der Tagesordnung:


1.        Wollen wir wirklich freie Wahlen? Haben freie Wahlen irgend ein anderes Ziel als ein wiedervereinigtes Deutschland?


2.        Wollen wir ein wiedervereinigtes Deutschland? Innerhalb oder außerhalb der EVG? Wie sind die Ansichten Großbritanniens und Frankreichs?


3.        Falls die Sowjetunion gewillt ist, substantielle Zugeständnisse zu machen, wollen wir dann zustimmen? [36]

Der Verlauf der Sitzung bestätigte, dass im State Department keineswegs eine einheitliche Einschätzung der sowjetischen Initiative vorhanden war. Auch hinsichtlich der denkbaren Optionen für die zukünftige amerikanische Deutschland- und Europapolitik gab es weitreichende Meinungsverschiedenheiten. Hierbei ließen sich im wesentlichen drei Gruppierungen unterscheiden:


1.        Die Vertreter der Deutschlandabteilung (Laukhuff und Lewis) urteilten ganz aus der Perspektive der bisherigen Integrationspolitik des State Department und lehnten deshalb freie Wahlen als ersten Schritt zu einem wiedervereinigten Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. Sie gingen davon aus, dass es besser sei, Westdeutschland in der EVG zu haben, als auf ein wiedervereinigtes Deutschland zu set­zen, das frei wäre, aus der Verteidigungsgemeinschaft auszuscheiden.  


2.        Der Politische Planungsstab (Nitze, Ferguson) vertrat in entscheidenden Punkten eine gegenteilige Auffassung. Wie Nitze ausführte, hatten sich die USA immer wieder für freie Wahlen ausgesprochen, die zu einem wiedervereinigten Deutschland führen sollten. Auch deshalb sei es jetzt nicht möglich, von dieser Position abzugehen. Vor allem Ferguson wies darauf hin, dass die Deutschen, wie auch Geheimdienstberichte zeigten, an allererster Stelle die Wiedervereinigung wollten. Gemeinsam mit Bohlen war Nitze deshalb der Meinung, dass die bevorzugte amerikanische Lösung ein wiedervereinigtes Deutschland innerhalb der EVG sei. Die Realisierbarkeit dieser Zielsetzung wurde im State Department indes übereinstimmend bezweifelt. Gleichwohl hielt Nitze ein offensiveres Vorgehen in der Wahlfrage mit allen denkbaren Konsequenzen für kein unkalkulierbares Risiko: im Gegenteil, die Wiedervereinigung Deutschlands würde die europäische Einigung insgesamt beschleunigen.  


1.        Eine eher vermittelnde Sicht nahmen die Russlandexperten (Charles E. Bohlen) und die Europaabteilung des State Department ein. Im Unterschied zur Deutschlandabteilung unterstellte vor allem »Chip« Bohlen [37] die Möglichkeit einer grundlegenden Wende in der sowjetischen Außenpolitik. Ein Ausgleich mit der Sowjetunion sei erstrebenswert, vor allem um die gegenseitige Bedrohungseskalation zu beenden. Eine zu schroffe Antwort müsse deshalb vermieden werden und die Chancen zu einer Wiederaufnahme des Gesprächs mit der Sowjetunion dürften nicht vertan werden [38]. Hinsichtlich der Option für ein wiedervereinigtes Deutschland in einem geteilten Europa war sich Bohlen indes nicht schlüssig. Dies berge die starke Gefahr einer Dominanz Deutschlands auf dem Kontinent oder eines möglichen »rapprochement« mit der Sowjetunion nach dem Muster von Rapallo.


Für das weitere Vorgehen in dem Notenwechsel einigte sich die Expertenrunde schließlich auf folgende Doppelstrategie: 1. mit der Integration fortzufahren und 2., falls die Sowjetunion wirklich bereit sei, freie Wahlen und dann die Wiedervereinigung zuzulassen, einer gesamtdeutschen Regierung die Entscheidung zu überlassen, ob sie Mitglied in der EVG und der Montanunion bleiben wolle.


 


Anmerkungen:

[33]
RG 59 PPS, Box 16, 27. 3. 1952 Memorandum von John H. Ferguson für Acheson, abgedruckt auch bei Steininger (wie Anm. 4), S. 170 ff. Der Hinweis auf R. W. Tufts als den eigentlichen Verfasser des Memorandums findet sich in der Kopie (Nr. 6 von 12) dieses Schriftstücks in der Dokumentenserie RG 59, Box 3856, 762A.00/3-2753 TSF. Die Fußzeile dieses Dokuments enthält die Paraphe »S/P: RWT: hh«.
[34]
So hatte sich u.a. Walter Lippman am 31. 3. 1952 in der New York Herald Tribune kritisch zu der westlichen Note vom 25. 3. 1952 geäußert. Einzelheiten bei Steininger (wie Anm. 4), S. 172, Anm. 2. Siehe auch W. Lippman: Amerikanische Gedanken zur deutschen Einheit. Die Außenpolitik der USA in einer neuen Weltlage. In: Außenpolitik 3 (1952), S. 775-783. In dem Aufsatz führt Lippman u.a. aus: »Wir dürfen nicht einer politischen Linie folgen, die bedeutet oder die zu bedeuten scheint oder in dem Sinn betrachtet werden könnte, dass unsere Maßnahmen für die Verteidigung Westeuropas vom Andauern der Teilung Deutschlands bedingt sind. Wir laufen Gefahr, in die völlig unhaltbare Lage zu geraten, dass wir unsere militärischen und politischen Pläne von der Verewigung eines geteilten Deutschlands abhängig machen, und von einer deutschen Regierung, die sich nur behaupten kann, wenn Deutschland geteilt bleibt [ ... ] Meiner Meinung nach haben wir keine andere Wahl, als die mögliche Räumung Deutschlands von nichtdeutschen Streitkräften zu einem klaren Ziel unserer eigenen Politik zu machen.« Unmittelbar auf die Stalin-Note eingehend, lehnte Lippman allerdings die sowjetischen Bedingungen eines völlig ungebundenen Deutschland sowie die in Potsdam vereinbarten Ostgrenzen ab. »Meine Ansicht ist, dass wir es für die Räumung Deutschlands zur Bedingung machen sollten, dass Gesamtdeutschland bereits mit Frankreich verbündet ist und mit Polen die gemeinsame Grenze, eine Entschädigung für die Vertriebenen und einen Wirtschaftsvertrag aushandelt. Nur wenn es ein französisch-deutsch-polnisches Einvernehmen gibt, kann man mit einiger Sicherheit von einem vereinten Europa sprechen oder, wie ich es lieber bezeichnen möchte, einem europäischen System.«
[35]
2. 4. 1952, Memorandum von Louis H. Pollak für Jessup, in: FRUS 1952-54 (wie Anm. 18), Vol. VII 1, S. 194-199. Abgedruckt auch bei Steininger (wie Anm. 4), S. 181-185.
[36]
Siehe Steininger (wie Anm. 4), S. 18 1, Anm. 1.
[37]
Zu Charles E. Bohlen ausführlich Isaacson/Thomas (wie Anm. 13).



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