Hessen Loewe
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Religion und Staat. Reformation in der Landgrafschaft Hessen (Geschichte im Archiv 2)
Herausgegeben von Fritz Wolff und Margret Lemberg

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Ausstellungsübersicht Ausstellungsübersicht

Herausgegeben von Fritz Wolff und Margret Lemberg

Einführung

Die Grundlagen für die Entwicklung Deutschlands und seiner Einzelstaaten in der Neuzeit sind mit der Reformation gelegt worden. Theologisch war sie das Werk Martin Luthers, politisch in erster Linie das des Landgrafen Philipp von Hessen. Die theologische Argumentation der Wittenberger hat ihre Umsetzung in die praktische Politik - nach innen und nach außen! - vor allem durch das aktive Eingreifen des jungen Landgrafen erhalten.

"Reformation" bedeutet in der Sprache der Zeit nicht ausschließlich Kirchenreform, sondern in einem umfassenderen Sinne die Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung. Für Landgraf Philipp, der 1518 als Dreizehnjähriger die Regierung in einem von inneren Kämpfen zerrissenen und von den Nachbarn bedrohten Lande angetreten hatte, war die Konsolidierung seiner landesherrlichen Stellung die vordringliche Aufgabe. Kirchliche Mißstände, die schon die vorreformatorische Generation erkannt und zu heilen versucht hatte [Dokument 1], gefährdeten mit dem vielfach anstößigen Lebenswandel in den Klöstern und bei den Weltgeistlichen die ethischen Normen der Gesellschaft ebenso wie der korrumpierende Ablaßhandel des Erzbischofs Albrecht von Mainz [Dokument 2, 3, 6]; nicht weniger bedroht schienen die Grundlagen der sich ausformenden Staatlichkeit Hessens durch die wilden Fehden des Reichsritters Franz von Sickingen [Dokument 4], der Hessen 1518 brandschatzte und dem von ihm verspotteten landgräflichen Knaben 35000 Gulden abpreßte.

Mit dem Aufstand der Bauern 1525 schienen alle staatlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Formen zu zerbrechen. Aus der von Luther eingeleiteten theologischen Diskussion war eine unkontrollierbare sozialrevolutionäre Bewegung unter der Führung von Thomas Müntzer geworden. Durch das entschlossene militärische Handeln des Landgrafen Philipp [Dokument 5, 7, 8] im Bündnis mit seinem streng altkirchlich gesinnten Schwiegervater, Herzog Georg von Sachsen, konnte der Aufstand mit dem Sieg über die Bauern bei Frankenhausen niedergeworfen werden.

Die Lehre, die Philipp aus den Ereignissen der ersten sieben Jahre seiner Regierungszeit zog, war die, daß er, der als Landesherr Friede und Recht zu sichern hatte, die Ordnung der Dinge selbst in die Hand nehmen mußte. Die von ihm im Herbst 1526 einberufene "Homberger Synode" [Dokument 20], eine Versammlung von Vertretern der hessischen Landstände und der Geistlichkeit, legte die Grundzüge der neuen Kirchen- und Sozialordnung fest. Armen- und Krankenfürsorge sowie das gesamte Bildungswesen, bisher Aufgaben der Kirche, wurden jetzt Aufgaben des Staates. Die Einrichtung von Armenkasten in den Städten und Dörfern und von Landeshospitälern (Haina, Merxhausen) in aufgegebenen Klöstern [Dokument 10, 11] entsprach dieser neuen Verpflichtung ebenso wie die Gründung der Universität Marburg, die die Ausbildung des Beamten- und Pfarrerstandes im neuen Geiste übernehmen sollte und für die großzügige Stipendien ausgesetzt wurden [Dokument 18, 19, 20, 21, 22, 23].

Zur Finanzierung der neuen Einrichtungen wurde das Vermögen der aufgelösten Klöster verwendet; ihre Einkünfte flossen hinfort in die landesherrlichen Kassen. Die Mönche und Nonnen sollten mit einer Rente abgefunden werden [Dokument 12, 13]. Man nahm an, daß die meisten von ihnen ohnehin ihre Klöster verlassen würden. Aber es zeigte sich doch, daß dies nicht überall der Fall war und daß es oft zu unschönen Begleitumständen und zu sozialen Härten kam [Dokument 14, 15].

Die angestrebte konfessionelle Geschlossenheit des Territoriums wurde nicht nur durch die Reste der katholischen Kirchlichkeit, sondern auch durch immer noch vorhandene reformatorische Nebenströmungen wie die der Täufer in Frage gestellt [Dokument 16]. Für die Freiheit ihres Bekenntnisses war in dem christlich-protestantischen Obrigkeitsstaat kein Platz. Gleichwohl wurden sie in Hessen toleriert, wenn sie auf öffentliche oder heimliche Gemeindebildung verzichteten, und nicht wie in Kursachsen, dem Lande Luthers, mit der Todesstrafe bedroht. Die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in Hessen fand einen gewissen Abschluß mit der Ziegenhainer Kirchenordnung 1539. Hier wurde die Stellung der Pfarrer, der Laienvertretung und der Gemeinden geregelt und zum ersten Male in einer deutschen Landeskirche die Konfirmation eingeführt, die als Konzession an die Auffassungen der Täufer verstanden wurde [Dokument 17].

Bei aller Festigung des landesherrlichen Kirchenregiments im Innern blieb doch dessen Bedrohung von außen, durch Kaiser und Reich, bestehen. Das Wormser Edikt (1521) hatte Luther und alle seine Anhänger in die Acht erklärt. Der Reichstag zu Speyer (1529) hatte die Befolgung des Wormser Edikts erneut eingeschärft und jede kirchliche Neuerung verboten. Dagegen protestierte Landgraf Philipp als Führer einer kleinen Ständegruppe im Reichstag, der "Protestanten", wie sie hinfort genannt wurden. Hessen, ein kleiner deutscher Mittelstaat, wäre allein nie in der Lage gewesen, dem mächtigen Kaiser Karl V. zu trotzen. So war es das dauernde Bestreben des Landgrafen, Alliierte für ein Verteidigungsbündnis gegen Kaiser und Papst zu gewinnen. Luther selbst hat sich solchen Versuchen, in denen er eine Umwandlung seines theologischen Anliegens in ein Instrument der Politik befürchtete, von Anfang an widersetzt. Als Landgraf Philipp im Marburger Religionsgespräch (1529) eine Einigung zwischen Luther und Zwingli, der mit seinen Anhängern längst zum bewaffneten Widerstand entschlossen war, herbeiführen wollte, um eine Einheitsfront gegen die katholische Kirche aufzubauen, hat Luther die Gespräche an der Abendmahlsfrage scheitern lassen [Dokument 24, 25, 26, 27, 28].

Auf dem Felde der praktischen Politik war jedoch die grundsätzliche Frage die, ob sich ein Christ mit Waffengewalt seiner Obrigkeit widersetzen dürfe. Luther hat sie zunächst eindeutig verneint und den unbedingten, auch leidenden Gehorsam gefordert. Erst nach dem Augsburger Reichstag (1530), wo die Konfessionsschrift der Evangelischen vom Kaiser und der katholischen Reichstagsmehrheit schroff zurückgewiesen wurde, hat sich diese Haltung - auch unter dem Eindruck der staatsrechtlichen Argumentation des Landgrafen selbst - geändert [Dokument 29, 30]. So konnte im Februar 1531 in Schmalkalden das Verteidigungsbündnis der Protestanten (neben Hessen und Kursachsen drei Fürsten, zwei Grafen und elf Städte) geschlossen werden [Dokument 31].
Fünfzehn Jahre lang konnte der Schmalkaldische Bund die Durchsetzung und Festigung der Reformation in den protestantischen Territorien sichern und ihre Ausbreitung im Reich unterstützen. Die durch die Bigamie des Landgrafen Philipp (1540) verursachte Vertrauenkrise [Dokument 32, 33] hat jedoch die Aktivitäten des Bundes gelähmt und auch weitergewirkt, als 1546 tatsächlich der bewaffnete Konflikt mit Kaiser Karl V. ausbrach [Dokument 34]. Im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 wurden die Protestanten niedergeworfen, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen wurde in offener Feldschlacht gefangengenommen, Landgraf Philipp mußte sich mit der Kapitulation von Halle dem Kaiser unterwerfen [Dokument 35].

Karl V. hat nach seinem militärischen Sieg über den Schmalkaldischen Bund mit dem auf dem Reichstag zu Augsburg 1548 verkündeten "Interim", der "einstweiligen" Regelung der Kirchenfrage, auch die Rekatholisierung der besiegten Länder angestrebt. Obwohl der gefangene Landgraf die Annahme des Interims empfahl, haben sich Pfarrerstand und Volk in Hessen der Wiederherstellung des alten Kirchenwesens widersetzt [Dokument 36, 37].

Der kirchliche und politische Schwebezustand wurde beendet, als die protestantische Fürstenopposition unter der Führung von Kursachsen und Hessen 1552 erneuert zu den Waffen griff und nach einem schnellen Sieg über den Habsburger im Passauer Vertrag (1552) die Zulassung der Augsburger Konfession als reichsrechtlich anerkanntes Bekenntnis erzwang. Dieses Ergebnis wurde auf dem Reichstag zu Augsburg 1555 als "Augsburger Religionsfriede" sanktioniert [Dokument 38].

Damit war die große Epoche der Reformation in Deutschland abgeschlossen. Der Augsburger Religionsfriede hat wenigstens für die nächsten Generationen einen Glaubenskrieg, wie er in Westeuropa, in den Hugenottenkriegen Frankreichs und im Aufstand der Niederlande, schon wenige Jahre später ausbrach, im Reiche verhindert und auf Dauer das politische Zusammenleben von Angehörigen verschiedener Konfessionen in einem wenn auch nur locker gefügten Staatsverband ermöglicht. Den konfessionellen Frieden im eigentlichen Sinne hat er trotzdem nicht bringen können.

Die durch das Konzil zu Trient (1545-1563) neu erstarkte katholische Kirche hat bald darauf mit der Gegenreformation eine geistige und geistliche Offensive gegen die Protestanten eingeleitet, vor allem durch die Schulgründungen des Jesuitenordens, und auf protestantischer Seite trat dem alten lutherischen Bekenntnis in einer sogenannten "Zweiten Reformation" eine Konkurrenz in dem von Westeuropa eindringenden Calvinismus entgegen, der auch unter den deutschen Fürsten, darunter Kurpfalz und Hessen, Anhänger fand. Die sich von Jahr zu Jahr steigernden Polemiken zwischen den drei Konfessionen im Reich, Katholiken, Lutheranern und Calvinisten, haben nicht unwesentlich zu der Katastrophe des 1618 ausgebrochenen Krieges, der zum Dreißigjährigen Kriege wurde, beigetragen. Gleichwohl ist der Augsburger Religionsfriede, der im Westfälischen Frieden 1648 bestätigt wurde, die Grundlage der künftigen Entwicklung geblieben. Bis in die Gegenwart hat er die konfessionelle Landkarte Deutschlands und die kulturelle Prägung der deutschen Länder bestimmt.




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