Vertreibung der Juden aus Spanien. Bericht eines unbekannten, wahrscheinlich nichtspaniolischen jüdischen Zeitgenossen in Italien, 1492
Und im Jahre 5252 (1492) suchte der Herr den Rest seines Volkes zum zweiten Male heim und strafte sie in den Tagen des Königs Ferdinand mit Verbannung. Nachdem der König den Ismaeliten Granada abgenommen und die Stadt sich ihm am B. Januar des obenerwähnten Jahres ergeben hatte, ordnete er die Vertreibung aller Juden aus allen Teilen seines Reiches an, also aus Kastilien, Katalonien, Aragon, Galicia, Majorka, Minorka, den baskischen Provinzen, den Inseln Sardinien, Sizilien und dem Königreich Valencia. Schon vorher hatte sie die Königin aus Andalusien ausgewiesen. Der König gab ihnen drei Monate Zeit zur Räumung. Die Frist wurde in jeder Stadt öffentlich am 1. Mai, dem 19. Omertage, bekanntgegeben und endete einen Tag vor dem 9. Ab. Die Zahl der Ausgewiesenen wurde nicht festgestellt, aber nach vielen Nachforschungen fand ich, dass die Schätzung auf 50 000 oder nach anderen auf 53 000 Familien fast allgemein angenommen wurde. Sie besaßen Häuser, Äcker, Weinberge und Vieh und waren in der Mehrzahl Handwerker.
Damals gab es in Spanien viele Akademien. An der Spitze der größten von ihnen waren R. Isaak Aboab in Guadalaxara, R. Isaak Bezodo in Leon und R. Jakob Habib in Salamanca. In der letztgenannten Stadt lebte ein großer Mathematiker; immer, wenn sich in der christlichen Akademie der Stadt ein Zweifel über mathematische Fragen erhob, unterbreitete man sie ihm. Er hieß Abraham Zacuto. An der Spitze der anderen Akademien standen R. Isaak Alfrandji in Valladolid, R. Jacob Canisal in Avila di Campos, R. Isaak Giakon in Toledo — und zwar nach dem Tode des in ganz Spanien betrauerten R. Isaak von Leon und seines Gegners R. Isaak Ziyyat, der sich in religionsgesetzlichen Fragen nicht mit ihm hatte einigen können —, R. Samuel Franco in Fromista, R. Isaak Uziel in Alkendi, R. Simon Sarsa in Segovia und 11, Samuel Zarfati in . . . (einem nicht mehr festzustellenden Ort).
Im Laufe der ihnen zugestandenen Frist von drei Monaten suchten die Juden einen Vergleich zustande zu bringen, laut dem sie im Lande bleiben dürften, und sie hofften fest, einen solchen zu erreichen. Ihre Vertreter waren Rabbi Don Abraham Senior, der Vorsteher der spanischen Gemeinden, der ein Gefolge von 30 Maultierreitern hatte, R. Meir, der Sekretär des Königs, und Don Isaak Abarbanel, der vom König von Portugal weg und nach Kastilien geflohen war und dann am spanischen Königshofe eine gleich hervorragende Stellung einnahm, der-elbe, der später vertrieben wurde und nach Neapel ging, wo ihn wiederum der König hochschätzte. Der erwähnte große Rabbi, R. Isaak von Leon, pflegte den Don Abraham Senior, einen „Sone Or”, d. i. Hasser des Lichts zu nennen, weil er ein Ketzer war. Das Ende des Don Abraham bewies auch, dass R. Isaak damit recht hatte: mit 80 Jahren ließ sich Don Abraham mit seiner ganzen Familie taufen und R. Meir mit ihm. Don Abraham hatte die Verhandlungen zwischen dem König und der Königin bei ihrer Heirat geführt; Thronerbin war die Königin, der König stammte aus dem spanischen Adel. Auf Grund dieses Verdienstes war Don Abraham Vorsteher der Juden geworden, ohne ihre Zustimmung. Das Abkommen, nach dem sie gegen Zahlung einer großen Summe Geldes im Lande sollten bleiben dürfen, war dem Abschluss nahe, als es durch das Dazwischentreten eines hohen Beamten, der an die Geschichte vom Kreuz erinnerte, vereitelt wurde. Daraufhin gab die Königin den jüdischen Vertretern eine Antwort ähnlich wie König Salomo: „Des Königs Herz ist in der Hand des Herrn, gleich Wasserläufen. Er wendet sie, wohin er will. Glaubt ihr,” fuhr sie fort, „dass dies euer Unglück von uns kommt? Der Herr hat es dem Herzen des Königs eingegeben.”
Da sahen sie, dass ihr Unglück beim König eine beschlossene Sache war, und sie gaben die Hoffnung auf, bleiben zu können. Aber die Frist war inzwischen fast abgelaufen, und sie mussten ihren Auszug aus Spanien beeilen. Sie verkauften ihre Häuser, Ländereien und ihr Vieh zu sehr niedrigem Preise, nur um noch wegzukommen. Der König ließ sie kein Silber und Gold aus dem Lande mit fortnehmen. Daher mussten sie es gegen Waren, Kleider, Felle und anderes umtauschen.
Julius Höxter, Quellenlesebuch zur jüdischen Geschichte und Literatur. II. Teil, Frankfurt a.M. 1927, S. 126-127
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