Der Fuldaer Judenmord ist der bekannteste Fall der zur Zeit der ersten Kreuzzüge auch in Deutschland aufkommenden Ritualmordbeschuldigungen. Die Keimstätte derartiger Ideen war England, wo bereits 1144 in Norwich der Tod eines Jungen auf solche Art erklärt wurde. Sogar in Chaucers "Canterbury Tales" wird der Tod Hugos von Lincoln als Ritualmord bezeichnet.
Am Weihnachtsfest des Jahres 1235 ereignete sich der Brand in der Fuldaer "Quadmühle", bei dem fünf christliche Kinder ums Leben kamen. Man beschuldigte die Mitglieder der jüdischen Gemeinde die Kinder zu Ritualzwecken getötet zu haben, und brachte zwei Männer zu einem Geständnis. Daraufhin erschlugen die Fuldaer Bürger über dreißig Juden, um den vermeintlichen Ritualmord zu rächen.
Hernach zogen einige aus ihren Reihen mit den Leichen der fünf verbrannten Kinder zur Pfalz Hagenau, in der sich Friedrich II. zu jener Zeit aufhielt, und legte sie ihm mit der Forderung nach reichsweiter Judenverfolgung vor. Der Kaiser jedoch war von der Unhaltbarkeit der Ritualmordanschuldigungen überzeugt und ließ den Fall ausgiebig prüfen. Von ehemals jüdischen, zum Christentum übergetretenen Experten ließ er prüfen, ob die vorgeworfenen Handlungen mit den Grundsätzen des jüdischen Glaubens vereinbar seien. Sie bestätigten seine Vermutung.
Im Anschluss an die Ereignisse erließ er 1236 das Schutzprivileg für alle Juden des Reiches.
Überblicksdarstellung zum Fuldaer Judenmord
Zitiert aus: Wolfgang Stürner: Friedrich II., Der Kaiser 1220-1250, Darmstadt 2000, S. 321-323.
[...] Mit einem besonders schwierigen Problem sah sich Anfang 1236 das kaiserliche Hofgericht konfrontiert. Am eben vergangenen Weihnachtsfest waren beim Brand einer Mühle vor den Mauern Fuldas fünf Kinder umgekommen. Die Fudaer Bevölkerung beschuldigte offenbar sofort die Juden der Stadt, sie hätten die Kinder ermordet, um ihr Blut, an dessen Heilwirkung sie glaubten, für sich zu gewinnen; sie hätten dann, um die Spuren ihrer Untat zu verwischen, das Haus des Müllers angezündet. In der Tat erpresst man von zwei jüdischen Männern ein entsprechendes Geständnis, worauf über dreißig Jahre Juden zur Vergeltung der vermeintlichen Verbrechens erschlagen wurden. Die Leichen der Kinder aber brachte man in die Pfalz Hagenau vor den Kaiser. Er sollte, so erwartete es die empörte Öffentlichkeit, die Juden seines Reiches für ihre ungeheuerlichen, den christlichen Glauben tief demütigenden Bräuche bestrafen.
Friedrich war, wie er am Ende zu verstehen gab, aufgrund seiner eigenen Kenntnis des jüdischen Glaubens und Denkens von vornherein von der Haltlosigkeit der gegen die Juden erhobenen Vorwürfe überzeugt. Das Aufsehen, das der Fall erregte, die generelle Bedeutung, die ihm schnell zuwuchs, veranlaßten den Staufer jedoch zu einem peinlich korrekten, sorgsam auf Sachlichkeit und genaue Aufdeckung der Wahrheit bedachten Verfahren. Als die um ihn versammelten Fürsten zu keiner klaren und einhelligen Meinung in der Sache fanden, entschloß er sich deshalb, die benachbarten Könige um Entsendung getaufter Juden zu bitten. Von ihnen erhoffte er gleichermaßen kritisch distanzierte wie unbedingt verläßliche Aussagen. Die angeforderten Sachverständigen trafen wirklich an seinem Hof ein, und ihre gründliche Befragung ergab mit absoluter Gewißheit, daß der Genuß von Blut und gar von Menschenblut bei den Juden völlig unbekannt sei, ja geradezu als eine Befleckung angesehen werde. So sprach der Kaiser im Juli 1236 zu Augsburg die Juden Fuldas wie ganz Deutschlands dem Urteil der anwesenden Fürsten gemäß von allen vorgebrachten Anschuldigungen und Verdächtigungen frei und verbot streng deren Wiederholung. Zugleich dehnte er Barbarossas Privileg für die Wormser Juden auf die gesamte deutsche Judenschaft aus und nahm ihre sämtlichen Mitglieder als servi camere nostre, als seine Kammerknechte in seinen besonderen Schutz.
Mit seiner Handhabung des Fuldaer Kindermordprozesses demonstrierte Friedrich, gerade auch angesichts der vielerorts durch das Ereignis ausgelösten judenfeindlichen Reaktionen, sehr eindrücklich, welches entscheidende Gewicht er der geduldigen, unparteiischen Wahrheitfindungals der Basis gerechter Gerichtsurteile zumaß, wieviel ihm also an der zentralen Herrscherpflicht lag, seinen Untertanen Frieden und Recht zu schaffen. Dazu kommt der vielbeachtete Umstand, daß er hier erstmals die Auffassung vertrat, alle Juden Deutschlands unterstünden gleicherweise seiner Kammerknechtschaft, und daß er ihnen allen als Folge ihres gemeinsamen Rechtsstatus durchweg die gleichen Privilegien zuerkannte. Er verdeutlichte und präzisierte damit die bereits von seinen staufischen Großvater, freilich eher beiläufig in Verfügungen für einzelne jüdische Gruppen und Gemeinden geäußerte Ansicht, die Juden gehörten zur kaiserlichen Kammer. Klarer als jener bekannte sich der Enkel nun zu den umfassenden Pflichten der Judenschaft gegenüber, die ihm aus deren Abhängigkeitsverhältnis erwuchsen, unmißverständlich definierte er dieses Verhältnis anderseits als Knechtschaft. Vielleicht doch bewußt an die eben in Gregors IX. Dekretalen bekräftigte kirchliche Lehre von der ewigen jüdischen Knechtschaft anknüpfend, suchte er so seine unmittelbare, jede Zwischengewalt, auch den Zugriff der Kirche ausschließende Schutzherrschaft über alle deutschen Juden und deren direkte Bindung an ihn völlig zweifelfrei zu sichern.
Aus der solcherart definierten Rechtsstellung der jüdischen Bevölkerung schlechthin leitete der Kaiser die folgerichtig nur ihm zukommende Berechtigung ab, über deren Finanzkraft zu verfügen, sie also mit speziellen Steuern zu belasten, und hier lag für ihn sicherlich ein wichtiger Grund zur Ausformung des Instituts der Kammerknechtschaft überhaupt. Es verpflichtete ihn indessen umgekehrt zum wirksamen Schutz aller Juden, die darauf künftig geradezu einen vor dem Hofgericht einklagbaren Anspruch besaßen. Der Prozeß von 1236 sollte zeigen, daß er diesen Zusammenhang anerkannte und seine Verantwortung ernst nahm. Gewiß unterstand damals manche jüdische Gemeinde trotz des kaiserlichen Einsatzes in Wirklichkeit bereits der fürstlichen Gewalt. Dennoch gehörten die Jahrzehnte von Friedrichs Regiment ohne Zweifel zu denjenigen des Mittelalters, die den Juden relativ günstige Lebensbedingungen bescherten, und seine Kammerknechtschafts- Regelung erschein einer ganzen Reihe von Herrschern nachahmenswert. [...]
Stürner, Wolfgang: Friedrich II., Der Kaiser 1220-1250, Darmstadt 2000, S. 321-323.
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