Neben dem Zuchthausinspektor war der Oberaufseher bzw. „Stockmeister“, wie er in Kurhessen bis zum Jahre 1850 genannt wurde, der wichtigste Beamte. Er stand in steter und unmittelbarer Berührung mit den Gefangenen und übte dadurch letztlich den größten persönlichen Einfluss auf sie aus. Von seiner Tüchtigkeit, Zuverlässigkeit und Geschicklichkeit war nicht nur die Sicherheit der Anstalt, sondern auch die Gestaltung des Strafvollzugs wesentlich abhängig.
Transskription:
Instruction für den Stockmeister zu Ziegenhain (1803)
Der Stockmeister bekommt unter seine Direction und Aufsicht über die beyden Stockknechte, die Stockhäuser und die zwey Classen der in Eisen sitzenden Delinquenten und hat folgendes zu beobachten:
1.) Daß das Stockhaus überall und in demselben die Behältnisse derer in den Eisen sitzenden Gefangenen reinlich gehalten und so oft es nöthig, von denen Gefangenen im Beysein der Stockknechte gekehrt werde, auch daß die Gefangenen sich selbst reinigen und weder sich noch andere mit dem Ungeziffer überhäufen. Zu dem Ende der Stockmeister jedem Gefangenen wöchentlich ein gewaschenes Hemd darreichen und dahin sehen soll, daß es angezogen werde.
2.) Sollen die in Eisen sitzenden Gefangenen beyder Classen in ihren Behältnissen sich still und ruhig halten und keinen Lärm oder Zänkerey und Schlägerey untereinander anfangen. Würden die Stockknechte, so hierauf acht haben sollen, dergleichen vermerken und sie selbst den Tumult sofort nicht stillen und dämpfen können, so sollen sie es ohnverzüglich ihm, dem Stockmeister, anzeigen, welcher durch die Stockknechte die Urheber und Verbrecher tüchtig peitschen zu lassen, oder, wofern die That von einiger Wichtigkeit ist, solche sonder Zeitverlust gehörigen Orts zu fernerer Verordnung anzuzeigen hat.
3.) Keine fremde Mann- oder Weibsperson, unter was Praetext es auch sey, soll zu denen in den Eisen sitzenden Delinquenten beyder Classen in die Behältnisse gelassen werden, es geschehe dann auf anderweitige Ordre.
4.) Soll dem Stockmeister das Verpflegungsreglement zugestellet werden, nach dessen Inhalt denen Gefangenen das Verordnete gehörig gereicht werden muß, insonderheit hat derselbe dahin zu sehen, daß das Brod jeden Brodtag richtig ausgetheilet und keinem Delinquenten vergönnet werde, von seiner Portion etwas zu verkaufen oder zu veräußern, damit er in der Folge nicht darben müsse und zu der Arbeit untüchtig gemacht werde; desgleichen hat der Stockmeister das Biergeld, so nach dem Reglement statt des bisherigen Getränks gegeben und ihnen zur Distribution wöchentlich eingereichet werden soll, richtig zu vertheilen und dahin zu sehen, daß auch solches die Gefangenen zum Getränke und nicht zu andern liederlichen Händeln gebrauchen, damit sie bey Kräften und zur Arbeit tüchtig bleiben.
5.) Hat der Stockmeister die in Eisen sitzenden Gefangenen anzuhalten, daß sie ihre Kleidung überhaupt und vornehmlich die Schue aus Mangel des Putzens und Schmierens nicht muthwillig verderben und zu Grunde gehen lassen, auch daß die Schue in Zeiten und so bald es nöthig, versohlet und mit Schu-Nägel gehörig beschlagen werden.
6.) Hat der Stockmeister dahin zu sehen, daß die Delinquenten der ersten Classe, wenn sie in ihren Behältnissen an die Arbeit gestellet werden sollen, zu gehöriger Zeit gewecket, an das aufgegebene Tagewerck gestellet werden, zu Mittage hat derselbe nachzusehen, wie weit die Arbeit avancirte und dem Befinden nach die Säumige zu mehrerem Fleiß, auch wenn es nöthig durch die Schärfe anstrengen zu lassen, wofern sich aber ein oder der andere an die Peitsche nicht kehren oder wohl gar an dem Stockmeister oder Stockknechte sich vergreifen sollte, so ist sofort das Verbrechen zu weiterer Verordnung gehörigen Orts anzuzeigen und die in der Nähe befindliche Wacht zur Assistence herbey zu rufen.
7.) Wie viel Stunden des Tages sowohl zu Sommers- als Winterszeiten die Gefangenen zu arbeiten haben, und welche Stunden denenselben zum Essen und zur Ruhe zu lassen, ist zwar in dem Reglement zu ersehen, wird aber zu besserer Nachricht des Stockmeisters hier wiederholt. Als von Ostern bis Michaelitag sollen die Gefangenen beyder Classen früh morgens fünf Uhr an bis abends 6 Uhr, von Michaelitag aber bis wieder zu Ostern von anbrechendem Tage bis zur Dämmerung alltäglich außer Sonn-, Fest- und Bättagen ihre angewiesene Arbeit verrichten und bey Sommerstagen 2 Stunden, des Herbst und Winters aber nur 1 Stunde zum Essen und zur Ruhe denenselben frey gelassen werden, worauf sich der Stockmeister mit der Aus- und Wiedereinführung der Gefangenen zu richten hat.
8.) Wenn die erste oder zweite oder beyde Classen zugleich zur Arbeit ausgeführt werden, so hat der Stockmeister zuvorderst jede Classe a parte vor dem respectiven Behältnisse in Ordnung zu stellen und zu examiniren, ob die Beineisen noch unbeschädigt seyn, und wenn er alles richtig befunden, so hat er jeder Classe einen Stockknecht zu geben und sodann dem Commando von der Garnison zum Begleiten jedoch also zu überliefern, daß die Gefangenen insonderheit der zweiten Classe zu der Stunde auf Arbeit seyn, wann die Wall- und Handwerksmeister, welchen sie zum Handlangen beygegeben werden, auf derselben ordinaire sich einfinden, damit die Arbeit durch die Verzögerung der Gefangenen nicht gehindert werde, wie denn frühmorgens zur rechten Zeit ein Ingenieur, Bauaufsichter oder ein Wallmeister bey der Arbeit sich einfinden und anweisen wird, was ein jeder zu verrichten haben soll, der Stockknecht aber hat dahin zu sehen, daß es gehörig geschehe.
9.) Wann die in Eisen sitzende Gefangenen aus dem Stockhause abgeführet werden, so hat der Stockmeister die Behältnisse zu visitiren, ob in denenselben etwas zum Ausbruch veranstaltet, oder wohl gar verdeckterweise der Anfang dazu gemacht worden; nachdem hat er dem Stockknecht, so in dem Stockhause bleibet, das erforderliche anzubefehlen und sodann sich selbst ohnverzüglich auf die Arbeit zu verfügen, und wenn beyde Classen angestellt seyn, von einer zu der andern zu gehen und wahrzunehmen, ob die Gefangenen der ersten Classe das aufgegebene Tagewerck zu vollbringen sich bemühen, und ob die Gefangenen der zweiten Classe mit gehörigem Fleiß ihre Arbeit verrichten, oder ob die Wall- und Handwercksmeister über ihren Unfleiß oder über den Stockknecht, daß er in Abwesenheit des Stockmeisters die Gefangenen nicht hinlänglich angetrieben, sich zu beschweren haben. Sollte der Stockknecht säumig gewesen seyn, so hat der Stockmeister gehörigen Orts anzuzeigen, damit derselbe davon angesehen werde; die faule und halsstarrige Gefangenen aber sowohl der ersten als zweiten Classe hat derselbe in seiner Gegenwart durch die Stockknechte und deren bey sich habende Carbatsche zu mehrerem Fleiße antreiben zu lassen. Würde aber ein Gefangener hieran sich nicht kehren oder wohl gar gegen ihn, den Stockmeister oder Stockknecht, sich zur Wehr stellen, so soll die Gefangenenwacht hierunter assistiren und das Verbrechen so bald zu weiterer Bestrafung angezeiget werden. Uebrigens hat der Stockmeister und in dessen Abwesenheit der Stockknecht zu sorgen, daß die Wasser-Gefäße, welche er angeschaffet und durch die Gefangenen ledig auf die Arbeit gebracht werden, sollen mit frischem und reinem Wasser zu Löschung des Durstes so oft es nöthig angefüllet werden und hieran kein Mangel erscheine.
10.) Soll weder Stockmeister noch in seiner Abwesenheit die Stockknechte leiden, daß die in Eisen sitzende Gefangene, so wenig der ersten als zweiten Classe weder auf der Straße noch auf der Arbeit die Passanten mit Betteln anfallen; derjenige, so ohngeachtet des Verbots sich dessen unterstehet, soll in Gegenwart des Stockmeisters durch die Charbatsche sogleich auf der Arbeit abgestraft werden. Sollte aber der Stockmeister erfahren, daß in seiner Abwesenheit die Stockknechte denen Gefangenen conniviret und das Betteln verstattet, so soll derselbe es gehörigen Orts anzeigen, damit solche davor abgestraft werden mögen.
11.) Wenn abends die Arbeit geendiget wird, so soll der Stockmeister oder, wann selbiger nicht zugegen, die Stockknechte die Gefangenen vor der Abführung nachzählen, ob sie alle vorhanden, sodann nach dem Stockhause führen, bis dahin sie von dem Commando begleitet werden; bevor aber die Gefangenen in ihre Behältnisse wieder eingelassen werden, so soll der Stockmeister in seiner Gegenwart genau visitiren und nachsehen lassen, ob die Beineisen noch unversehrt, und ob die Gefangenen zum Ausbruch beförderliche Instrumente in der Kleidung versteckt bey sich führen. Würde er bey einem oder dem andern etwas verdächtiges finden, so ist davon zugleich behörige Anzeige zu thun.
12.) Hat der Stockmeister zu sorgen, daß die Gefangenen abends zu gehöriger Zeit, nachdem ihnen das Abendgebät vorgelesen worden, sich schlafen legen und die Stockknechte alsdann die Lichter zu Winterszeit auslöschen und die Behältnisse gehörig beschließen; derjenige Gefangene, so nachher sich nicht ruhig halten und muthwilligen Lerm erheben wird, soll durch die Carbatsche zu mehrerer Ruhe angewiesen oder auf beschehene Anzeige nach Verdienst härter castigiret werden.
13.) Wann ein Gefangener mit Kranckheit überfallen wird, so soll der Stockmeister solches dem Garnisons-Chirurgo ohnverzüglich melden, damit der Kranckheit in Zeiten vorgebeuget, auch der Krancke nach dem Reglement nothdürftig versorget werde.
14.) Er muß die Stockhäuser zuweilen unverhofft visitiren und besonders auch darauf sehen, daß sich in Behältern nichts von Schreibmaterialien vorfinde, denn es sollen dergleichen durchaus nicht geduldet werden, und ihm kommt es zur Last, wenn sich ergeben sollte, daß ein oder der andere heimlich geschrieben haben sollte.
15.) Alle Briefe, welche an die Gefangenen einlaufen, müssen dem Stockmeister zuvor eingehändigt, von dem Plaz-Major oder dem Auditeur zuvor erbrochen und erst dann denen Gefangenen zugestellt werden, damit alle und jede gefährliche oder heimliche Correspondenz vermieden werde.
16.) Ebenso dürfen Gefangene keine Briefe zu machen und abgehen lassen, ohne daß sie zuvor von der Behörde gelesen sind. Wie dann dergleichen Schreibereyen nur in Gegenwart des Stockmeisters oder eines Stockknechts geschehen dürfen.
17.) Kein Gefangener darf ins Posthaus gehen, er habe dann einen Stockknecht zur Aufsicht bey sich.
18.) Kein Gefangener darf ohne Erlaubnis und ohne gehörige Aufsicht in die Bürgerhäuser gehen, und wenn er dieses gewahr wird, soll der Stockmeister ihn deshalb examiniren, wer ihm die Erlaubnis gegeben habe.
19.) Alle Paquette, die denen Gefangenen von ihren Verwandten oder Freunden geschickt oder gebracht werden, sollen dem Stockmeister absolut erst eingehändigt, von diesem genau visitiret und dann erst an die Gefangenen abgegeben werden; auf der Arbeit dürfen dergleichen Paquette gar nicht angenommen werden.
20.) Die Gefangenen dürfen unterweges oder auf der Arbeit so wenig etwas kaufen oder verkaufen, wozu sie nicht zuvor Erlaubnis haben, und dann muß es immer in Gegenwart eines Stockknechts geschehen.
21.) Kein Fremder darf mit denen Gefangenen auf der Arbeit sprechen; es wird überhaupt jedermann bescheiden zurückgewiesen.
22.) Die hiesigen Juden, deren Weiber, Knechte und Kinder dürfen durchaus weder in die Casernen noch in die Stockhäuser unter keinerley Vorwand gelassen werden, sie dürfen auch nichts zum Verkauf hinein bringen. Eben dies gilt auch von jeden andern Leuten.
23.) Er muß jeden Morgen eine Liste an den Platz-Major einhändigen, aus der die Vertheilung der zur Arbeit abgeführten Gefangenen und die Art ihrer Arbeit nebst den Arbeitsplätzen ersichtlich ist.
24.) Die Wachtmäntel und Gewähre von der Gefangenenwacht sind unter seiner speciellen Aufsicht; er liefert sie morgens an die Wacht ab und nimmt sie mittags und abends wieder zur Aufbewahrung in Empfang, wenn er sie zuvor nachgesehen hat, daß daran muthwilligerweise nichts verdorben worden.
25.) S[ei]n[e]r Excellenz d[em] H[errn] Generallieutenant und Gouverneur und dem Plaz-Major muß er täglich rapportiren, ob etwas neues in den Stockhäusern vorgefallen sey oder nicht.
26.) Endlich und leztens, würde der Stockmeister alles dasjenige, was ihm allhier vorgeschrieben worden, mit gehöriger Treue und schuldiger Sorgfalt nicht beobachten oder sonsten Nachlässigkeit oder Unterschleife und Eigennutzens beschuldigt und überführt werden, so soll er hart davor angesehen und dem Befinden nach cassirt werden; dahingegen hat derselbe und dessen Stockknechte alles das zu genießen, was S[ei]ne Kurfürstliche Durchlaucht an Besoldung und Emolumenten, wie solche in den Stockhaus-Rechnungen verrechnet werden, seinen Vorgängern bisher gnädigst verwilligt und bestimmt haben.
Ziegenhain, den 16. November 1803
K[ur]f[ürst]l[ich] H[e]ss[isches] Garnisons-Kriegsgericht hierselbst
v. Schenck zu Schweinsberg
Generallieutenant und Gouverneur
[Siegel]
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