Deutschland nur den Deutschen? Aus einer Streitschrift von Ute Knight und Wolfgang Kowalsky, November 1991
Um unvoreingenommen, das heißt ohne ideologische Scheuklappen, die Immigrationspolitik zu sichten, sind einige liebgewordene Gewohnheiten abzulegen. Der einen, der rechten Seite ist vorzuhalten, daß "deutschstämmig" ein Begriff ist, der aus dem vorigen Jahrhundert herrührt und mit dem die NS- Ideologen ihr rassistische Politik begründet haben - mit anderen Worten: ein Anachronismus, verglichen mit modernen rechtlichen Auffassungen, wie sie in Frankreich oder den USA seit langem gang und gäbe sind. Eine Revision dieser fossilen Vorstellung vom "Deutschtum" ist überfällig.
Auf der anderen, der linken Seite ist der Begriff "Ausländerfeindlichkeit" zu einer Allzweckwaffe im politischen Streit um die Immigrationspolitik geworden. Jegliche Kritik an Ausländern wird so tabuisiert und unter den Verdacht der "Ausländerfeindlichkeit" gestellt. Selbsternannte "Ausländerfreunde" haben dem Begriff durch inflationäre Verwendung Substanz genommen ...
Es drängt sich der Eindruck auf, die ganze Ausländerproblematik werde von 'linker Seite angegangen unter der traumatischen Erfahrung, die Auschwitz hinterlassen hat. Folglich sei es nur recht und billig, wenn die Bundesrepublik als Nachfolgestaat des NS-Staats großzügig Asyl gewährt. Dieser Logik zufolge hätten die Deutschen ein für allemal das Recht verwirkt Ausländern den Zutritt zu verwehren. Darüber hinaus sei es unzulässig, Ausländern Regeln vorzuschreiben ...
Auf das Bekenntnis "Deutschland über alles" antworten viele Linke mit der gegenteiligen Aussage. In Berlin war zu lesen: "Ausländer! Lqßt uns mit den Deutschen nicht allein" ... Xenophilie und deutscher Selbsthaß erscheinen als zwei Seiten einer Medaille. Diese Verbindung ist bei den Grünen häufig anzutreffen. In ihren Darstellungen erscheinen die Bundesrepublik und ihr Verhalten gegenüber Ausländern als abgrundtiefschlecht, als rassistisch, diskriminierend, die Ausländer als gut und nett, als exotische Farbtupfer im grauen deutschen Einerlei. Die Ausländer brächten "Anregung" und "Bereicherung". Alle Bedingungen, an die die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geknüpft ist, erhalten etwas Anrüchiges…
Sicher existiert Fremdenhaß in Deutschland wie auch in anderen Ländern, aber er ist kein vorherrschendes Phänomen. Die Behauptung der Deutsche sei "fremdenfeindlicher" als ein Durchschnittsfranzose, -engländer oder -italiener, ist eine Legende, um deren Aufrechterhaltung sich einige Linke eifrig bemühen.
Im Zusammenhang mit dem Hinweis auf die miserable Situation in der viele Ausländer leben, wird mit Vorliebe ausgeblendet, daß in deutschen Landen nicht nur viele Ausländer, sondern auch viele Deutsche vom Wohlstandskuchen nur Krümel abbekommen: Hunderttausende von Obdachlosen, Millionen, die ihre Arbeit dauerhaft verloren haben, zahlreiche Menschen, die Objekte der Sozialfürsorge geworden sind, Bezieher kleiner Renten. Wenn die Leitlinie sein soll, die Ausgeschlossenen der Zwei-Drittel-Gesellschaft zu integrieren, dann muß sie verallgemeinerbar sein, das heißt, es muß um alle gehen und nicht nur um einige. Es zeugt von Einseitigkeit, mit Eifer
alle möglichen Diskriminierungen bei Ausländern aufzuspüren ...
Es kann kein Zufall sein, daß im Zusammenhang mit Immigration stets der Nationalismus zur Sprache kommt. Das Thema "deutsche Nation(alität)" ist für Linke wie für Rechte heikel aufgrund der besonderen deutschen Vergangenheit, nicht zuletzt der NS-Zeit.
Solange die deutsche Linke ein gestörtes Verhältnis zur Nation hat, kann sie sich zu einer nationalen Immigrationspolitik nicht durchringen; denn eine solche Politik unterstellt eine gewisse Homogenität der Einheimischen. Eine solche Sicht der Dinge widerspricht Gesellschaftskonzeptionen, die von einem alles determinierenden Klassengegensatz, einer tiefgehenden Zerrissenheit der Gesellschaft, ausgehen und ein Gemeinsames Schlichtweg leugnen oder für irrelevant erklären.
Viele Linke vermögen keinen Unterschied zwischen Nationalbewußtsein und Nationalismus zu erkennen; für sie ist der Nationalismus ein Zwillingsbruder des Faschismus. Mit anderen Worten: Wer von Nation redet, ist schon ein potentieller Faschist. Jeder Deutsche weiß, daß der letzte große nationale Rausch in Auschwitz endete. Diese Erfahrung hat tiefe Spuren hinterlassen.
Die Deutschen sind seit der NS-Zeit dagegen, daß die Individualität auf dem Altar der Nation geopfert wird. Eine plausible Auffassung von Nation ist möglich. Jürgen Habermas hat den Begriff des „Verfassungspatriotismus" in die Diskussion eingebracht, um ein in der deutschen Geschichte neuartiges Pflänzchen, die demokratisch-republikanische Verbundenheit mit den Grundsätzen der Nation, zu benennen. Zum ABC der Linken sollte gehören: Es gibt eine deutsche Nation, eine nationale Gemeinschaft, ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl, aber - und dies gehört ins Stammbuch der Rechten - dieses Nationalgefühl ist nicht herzuleiten aus Rasse oder Blut.
Das Problem ist kein nationales, sondern ein internationales: Vielen lmmigranten erscheint das Haus Europa als ein Palast, und der Anstieg der Flüchtlingszahlen und der Asylanträge ist ein weltweites Phänomen. Darauf angemessen zu reagieren ist eine Herausforderung unserer Zeit. Eine Abstimmung mit den europäischen Nachbarn ist unerläßlich. Bislang existiert kein gesamteuropäisches Einwanderungskonzept. Ein Bestandteil einer europäischen Einwanderungspolitik wäre eine "kontrollierte Öffnung". Wie die aussehen könnte demonstriert seit langem die USA, Australien und Kanada: Sie kontingentieren die Zuwanderung. Gemeinsam entscheiden Vertreter aller gesellschaftlich relevanten Gruppen über das Kontingent...
Anders sieht die Situation in der Bundesrepublik aus. Hier gilt weiterhin das obsolete Prinzip des ius sanguinis. Daher können Polen, Rumänen, Sowjetbürger und andere, die weder Deutsch sprechen noch jemals deutschen Boden betreten haben, allein aufgrund der Tatsache, daß sie eine Bescheinigung über die Existenz deutscher Vorfahren vorlegen können, die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten.
Hingegen können türkische Jugendliche der zweiten oder dritten Generation, die ihr ganzes Leben in der Bundesrepublik verbracht haben und mit der deutschen Kultur, Arbeits- und Lebensweise bestens vertraut sind, die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erlangen - es sei denn, sie legten die eigene, die türkische Staatsangehörigkeit ab ...
Die politische Krankheit "Mangel des Willens" lähmt in Deutschland jede beherzte politische Initiative. Eine Quotierung ist nötig und klare Regeln, wer bleiben darf und wer nicht. Denn jedes Land hat das Recht, selbst demokratisch zu bestimmen, wie viele Immigranten aufgenommen werden sollen.
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