Warum organisieren wir uns als Frauen separat? Thesenpapier, vorgelegt auf dem Bundesfrauenkongreß in Frankfurt/M. am 11./12. März 1972
1. Frauen organisieren sich separat, weil ihnen eines Tages auffällt, daß die Gesellschaft aktiv von Männern bestimmt wird und wurde, so daß wir die Gesellschaft und ihre Institutionen von den verschiedenen Frauenstandpunkten her untersuchen müssen, um selbst aktiv an der Gestaltung unseres Lebens und unserer Zukunft teilzuhaben.
2. Frauen organisieren sich separat, weil sie gemeinsame Probleme haben die im sogenannten „Privatbereich" besonders massiv auftreten und von den bisherigen Organisationen als "unpolitisch" abgetan werden, oder wiederum von der Sichtweise der "aktiven" Männer angegangen werden. An den "Privatproblemen" der Frauen bereichern sich außerdem Psychoanalytiker und Zeitschriften, die die Auslöser der Probleme (u. a. die Institution von Ehe und Familie) gar nicht infragestellen, die wiederum "Männerstandpunkte" vertreten (machen Sie sich "sexy" für ihn!).
3. Frauen organisieren sich separat, weil sie oft so konkret unter dem Druck z. T. auch der Gewaltandrohung von Männern stehen, daß sie einen "Freiraum" brauchen, um sich eigene Frauenvorbilder zu schaffen, um neue Lebensstile für sich zu erproben, um sich zu informieren, um mit anderen Frauen von der Gesellschaft hochgehaltene Ideale wie "Mutterschaft" und "Wesen Frau" auf ihre unterdrückende Wirkung auf uns Frauen hin zu untersuchen.
4. Frauen organisieren sich separat, weil sie dazu erzogen worden sind, ihr ganzes Leben auf Männer hin auszurichten (Kleidung, Beruf, Berufung), und eines Tages feststellen, daß sie für sich gar nichts sind. Solidarisch statt in Konkurrenz mit anderen Frauen überprüfen sie, wo sie in Sprache, Gestik, Auftreten etc. andere Frauen herabsetzen, um Männern zu gefallen - und damit nur ausdrücken, daß sie auch von sich selbst oft noch wenig halten. Durch diese Erfahrung können Frauen miteinander ein unabhängiges Selbstwertgefühl entwickeln.
5. Frauen organisieren sich separat, weil sie erkannt haben, daß sie als einzelne aufgeschmissen sind, und um ihre Lage zu verbessern, mit vielen Frauen denen es genauso geht (Abtreibung!), zusammenarbeiten müssen. Die Misere ihrer Lage (Verantwortung für die Kinder, schlechtere Ausbildung, Einsamkeit in der Vorstadt ete.) wird von Frauen erlebt. Männer können sie nur theoretisch "nachempfinden". Deshalb müssen Frauen aktiv werden, weil nur sie wissen, was ihnen stinkt und wie sie anders leben wollen.
6. Frauen organisieren sich separat, um ihre eigensten Ansprüche, entwickelt aus der Tatsache ihrer besonderen Unterdrückung, ihre Vorstellungen von ihrer Zukunft im gemeinsamen Kampf mit anderen Gruppen wirkungsvoll durchsetzen zu können, so daß eine Zukunft nicht schon wieder ohne sie und über ihre Köpfe hinweg gemacht wird. Diese Ansprüche gehen weiter, als eine formale oder inhaltliche Gleichberechtigung mit Männern zu erstreben. Indem Frauen die jetzigen Zustände zwar als kapitalistisch, besonders aber auch als "patriarchalisch", als "männlich" erfahren, wollen sie mehr und etwas anderes als was Männer schon haben. Frauen, die sich miteinander solidarisiert haben, können nicht mehr wünschen, wie Männer über Frauen, Männer, Kinder und Völker zu herrschen.
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