Über den Zusammenhang zwischen Umweltpolitik und wirtschaftlichem Wachstum. Stellungnahme von Prof. Kurt Biedenkopf (CDU) von 1989
Die Verschmutzung und Vergiftung der Böden und des Grundwassers, die Gefährdung der Lebensfähigkeit der Meere, die zunehmende Belastung der Luft und der Nahrung, die Verwüstung von Landschaften, die Zerstörung der Tropenwälder. die zunehmende Erschöpfung von Rohstoffquellen. die Dezimierung der Artenvielfalt bei Tieren und Pflanzen und die Klimaveränderungen, die durch menschliches Handeln verursacht werden: Alles sind Symptome einer zunehmenden Erschöpfung der Natur. Zum ersten Mal seit Beginn der Menschheitsgeschichte können wir das Leben auf unserem Planeten und damit unsere eigene Zukunft in Frage stellen: durch die atomare und durch die ökologische Katastrophe. Beide unterscheiden sich im Ergebnis nur durch die zeitliche Dimension. Die endgültige Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ist in den Bereich der Möglichkeiten gerückt.
Vor rund 15 Jahren warnte der Bericht des Club of Rome - erstmals mit politischer Wirksamkeit - vor der selbstzerstörerischen Bedeutung exponentieller Wachstumsverläufe. Inzwischen, nur eine halbe Generation später, sind die Probleme bereits drängend und die zeitlichen Horizonte bis zur möglichen Katastrophe so eng geworden, daß sie nicht mehr nur die Zukunft künftiger, sondern bereits die der heute lebenden Generationen betreffen. Die Weltwirtschaftsgipfel in Bonn von 1978 und 1985 sahen im Wirtschaftswachstum noch den alleinigen Schlüssel zur Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ihrer Länder. ... Erst in ihrer Wirtschaftserklärung von Paris (Juli
1989) stellen die sieben Staats- und Regierungschefs einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz her. Die drei großen Herausforderungen, die die Wirtschaftslage 1989 berge, seien: "Wahl und Durchführung der Maßnahmen, die erforderlich sind, um ein ausgewogenes und dauerhaftes Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten, der Inflation entgegenzuwirken, Arbeitsplätze zu schaffen und die soziale Gerechtigkeit zu fördern"; zum zweiten "die Entwicklung der zunehmenden Einbindung der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft"; als drittes die "dringende Notwendigkeit, die Umwelt für künftige Generationen zu erhalten". . . .
Damit hat sich zunächst die Erkenntnis von der Bedrohung durchgesetzt, die für unsere Lebensweise und unsere Zukunft von der Zerstörung der Umwelt durch die Industrialisierung ausgeht. Dies ist bereits ein großer Fortschritt. Wir erkennen, daß wir vom Naturkapital, nicht vom Einkommen der Erde leben .... Damit steht unsere westliche Industriegesellschaft einer Aufgabe gegenüber, für die es in ihrer bisherigen historischen Entwicklung kein Vorbild gibt: Sie muß selbst eine inhaltliche Begrenzung ihrer Handlungsspielräume finden. Sie muß ihr gesellschaftliches und individuelles Handeln in einer Weise begrenzen, die enger ist als die Grenzen, welche ihr durch ihr jeweiliges, tatsächliches technisch-naturwissenschaftliches Können gezogen sind. Eine Begrenzung durch Einsicht und Notwendigkeit also. Letztlich geht es um eine Begrenzung durch eine Ethik der Verantwortung (Hans Jonas) ....
Versuche, die Expansion von Produktion und Konsum zu begrenzen, stehen in offenem Widerspruch zur herrschenden Ansicht von der Notwendigkeit weiteren Wachstums. Wie immer diese Notwendigkeit im einzelnen begründet werden mag - Überwindung der Arbeitslosigkeit, besserer sozialer Ausgleich, Notwendigkeit von Zukunftsinvestitionen, Erleichterung des Umweltschutzes, politisch problemlosere Bewältigung von Verteilungskonflikten, Unterstützung der Dritten Welt, Ausgleich weltwirtschaftlicher Ungleichgewichte usw. - sicher ist, daß uns die Vorstellung fremd ist, das quantitative Wachstum der Wirtschaft könne normativen Begrenzungen unterworfen werden, die sich aus unserer Zukunftsverantwortung ergeben ....
Jede ökologische Politik wird deshalb auf massive Widerstände stoßen, an denen sie scheitern kann. Selbst wenn sie sich auf Dauer durchsetzt, ohne von ökologischen Katastrophen überholt zu werden, wird sie von erheblichen gesellschaftlichen Konflikten begleitet sein ....
Auf den Punkt gebracht werden sich zwei Konzepte gegenüberstehen:
1. Eine wachstumsorientierte Gesellschaft, die unter dieser Bedingung - angemessenes Wirtschaftswachstum - auch die sozialen und ökologischen Fragen lösen kann.
2. Eine ökologisch und sozial orientierte Gesellschaft, die unter diesen Bedingungen - ökologische Verträglichkeit und soziale Gerechtigkeit - auch wachsen kann, aber nicht wachsen muß.
Das eine Konzept beruht auf dem Primat der Wachstumsorientierung, das andere auf dem Primat ökologischer und sot1aler Gerechtigkeit. Beide Konzepte schließen sich im Prinzip aus. Die Anhänger der wachstumsorientierten Gesellschaft werden argumentieren: Ohne Wirtschaftswachstum sind alle Forderungen, ökologisch und sozial verantwortlich zu handeln, Schwärmerei. Sie scheitern an der Unmöglichkeit, Prioritäten durch Eingriffe in Besitzstände zu ändern. . . .
Die Anhänger der ökologisch und sozial orientierten Gesellschaft werden antworten: Die Erfahrungen der zurückliegenden Jahrzehnte zeigen, daß die am ständigen Wachstum orientierte Gesellschaft nur Gegenwartsinteressen kennt und berücksichtigt. Die Zukunft kommt in ihr als politische Kategorie nicht vor. Sie hat keine Lobby und ist daher machtlos.
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