Veränderte Anforderungen an die Umwelt- und Entwicklungspolitik
Die siebziger und achtziger Jahre schufen auch für die Politik der Bundesrepublik veränderte weltwirtschaftliche und umweltpolitische Rahmenbedingungen. Bis gegen Ende der sechzig er Jahre hatte ein unbekümmertes Streben nach Wiederaufbau und raschem wirtschaftlichen Wachstum das Denken der Menschen bestimmt. Mit dem Wachstum der Wirtschaft sollte eine immer bessere Lösung der sozialen Probleme im Rahmen eines modernen Wohlfahrtsstaates bewirkt werden. Von der Übertragung des westlichen Entwicklungsmodells auf den "Süden" erwartete man die baldige Lösung der Probleme der "Unterentwicklung". Ein gemeinsamer Weltmarkt und der freie Kapitaltransfer sollten dafür die Voraussetzungen schaffen. Eine langanhaltende Nachkriegsexpansion von Wirtschaft und Welthandel schien solche Hoffnungen zu bestätigten.
Beide Erwartungen aber wurden von der weiteren Entwicklung mehr oder weniger enttäuscht. Schon die Bilanzierung der Ergebnisse der von den Vereinten Nationen proklamierten ersten Entwicklungsdekade (1961-1970) zeigte, daß die Nord-Süd-Kluft sich vergrößert und die Probleme der Entwicklungsländer sich zugespitzt hatten. Die weltwirtschaftliehe Entwicklung der siebziger Jahre brachte der Dritten Welt zusätzliche Schwierigkeiten. Zwar konnten in dieser Dekade relativ hohe Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts aufrechterhalten werden, doch nur auf Kosten einer unverhältnismäßig hohen Auslandsverschuldung und vermehrter ökonomischer und sozialer Verwerfungen im eigenen Land. Diese ungesunde Entwicklung wurde neben dem zweiten Ölpreisschock 1979/80 zur unmittelbaren Ursache für die schwere Krise, in die in den achtziger
Jahren vor allem die afrikanischen und lateinamerikanischen Entwicklungsländer gerieten. Neben großen Mängeln in der nationalen Politik und der übermäßigen Verschuldung trugen dazu auch weltwirtschaftliehe Faktoren wie wachsende Realzinsen, ein geringeres Wachstums des Welthandels, sinkende Rohstoffpreise und protektionistische Maßnahmen der Industrieländer bei. Faktoren, die aus der gleichfalls vielfach krisenhaften Lage dieser Staaten resultierten.
Abnehmende Wachstumsraten, Massenarbeitslosigkeit und hohe Staatsverschuldung in den Industrieländern begannen die weitere Finanzierung des Sozial- und Wohlfahrtsstaates zu gefährden, während andererseits die fatalen Folgen eines ungehemmten wirtschaftlichen Wachstums immer offenkundiger wurden. Zwei wissenschaftliche Untersuchungen am Anfang und am Ende dieser Dekade trugen zusätzlich zur Sensibilisierung des ökologischen Denkens bei. 1972 erschien der erste Bericht des "Club at Rome" über die "Grenzen des Wachstums", der anhand eines speziellen Prognosemodells für die erste Hälfte des nächsten Jahrhunderts eine Weltkatastrophe aufgrund einer Überbeanspruchung der verfügbaren Ressourcen und der Biosphäre voraussagte. 1980
wurde „The Global Report 2000" dem amerikanischen Präsidenten vorgelegt. Erstmalig wurde hier die globale Umweltzerstörung detailliert dargestellt und wurden katastrophale Konsequenzen bis zum Jahre 2000 für den Fall prognostiziert, daß eine entschiedene Trendwende ausbleibt.
Stärker noch als zuvor haben in den achtziger Jahren neue Erfahrungen das Bewußtseins von der unauflöslichen Vernetzung aller Teile des Ökosystems Erde ausgebreitet. "Ozonloch" und "Treibhauseffekt" werden als Gefahren gesehen, die global verursacht und global wirksam werden. Nur gemeinsam werden Nord und Süd eine sichere Zukunft schaffen können. Für die Dritte Welt setzt das die Lösung des Armutsproblems voraus. Die Industriestaaten aber sehen sich vor die Aufgabe gestellt, dafür einerseits angemessene weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, andererseits aber ihr wirtschaftliches Wachstum und ihre technologische Entwicklung so zu steuern, daß dabei die Erhaltung der ökologischen Lebensgrundlagen ebenso wie die soziale Befriedung der Gesellschaft gewährleistet werden können.
Brundtland-Bericht über den Zusammenhang von Weltwirtschaft, Umwelt und Entwicklung. Stellungnahme der U N-Kommission für Umwelt und Entwicklung unter Leitung der Norwegerin Gro Harlem Brundtland (1987)
Die Kluft zwischen arm und reich wird größer, nicht kleiner, und es besteht kaum Aussicht, daß sieh dies bei Fortschreibung bestehender Trends und Gegebenheiten in absehbarer Zeit ändern könnte.
Parallel hierzu gibt es Umwelt-Entwicklungen, die unseren Planeten grundlegend zu verändern drohen und die das Überleben vieler auf ihm lebender Arten - den Menschen eingeschlossen - gefährden. So verwandeln sich Jahr für Jahr weitere 6 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbarer Flüche in unfruchtbare Wüste. Über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten entspricht dies einer Fläche etwa so groß wie Saudi-Arabien. Mehr als 11 Millionen Hektar Wald werden jährlich vernichtet; eine Fläche, die - ebenfalls auf dreißig Jahre hochgerechnet - der Größe Indiens entspricht. Ein Großteil dieser ehemaligen Waldflächen verwandelt sich in landwirtschaftliche Niedrigertragsflächen, die den besiedelnden Bauern kein Überleben sichern. In Europa führt der Saure Regen zum Waldsterben sowie des Absterbens des Lebens in Gewässern und zerstört das künstlerische und architektonische
Erbe ganzer Nationen. Riesige Gebiete sind möglicherweise bereits derart versauert, daß eine dauerhafte Abhilfe gar nicht mehr möglich ist. Die Verbrennung fossiler Energieträger führt zu einem Anstieg des Kohlendioxids in der Luft und damit zu einer allmählichen weltweiten Erwärmung. Bereits Anfang des nächsten Jahrhunderts kann der durch diesen Treibhauseffekt verursachte weltweite Temperaturanstieg zu einer Verlagerung der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen, sowie - bedingt durch den Anstieg des Meeresspiegels - zu einer Überflutung von Küstenstädten und zu wirtschaftlichem Chaos führen. In der industriellen Fertigung verwendete flüchtige Gase bedrohen den schützenden Ozonschild der Erde derart, daß bei einem weiteren Abbau der Ozonschicht mit einem drastischen Anstieg der Krebsraten bei Mensch und Tier sowie darüber hinaus mit einer Unterbrechung der Nahrungskette in den Meeren zu rechnen ist. Über Industrie und Landwirtschaft gelangen giftige Stoffe in die menschliche Nahrungsmittelkette und in das Grundwasser und verursachen dort nicht wiedergutzumachende Umweltschäden.
Nationale Regierungen und internationale Organisationen werden sich zunehmend der Tatsache bewußt, daß Fragen wirtschaftlicher Entwicklung und der Umwelt nicht länger voneinander zu trennen sind. Vieles, was unter der Bezeichnung "Entwicklung" distanziert wird, geht unverantwortlich mit den hierfür benötigten Umweltressourcen um, und letzlich wird eine geschädigte Umwelt sich auch nachteilig auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Die Armut ist gleichzeitig eine der Hauptursachen und Hauptfolgen globaler Umweltprobleme. Es ist daher müßig, Umweltprobleme in den Griff bekommen zu wollen, wenn man nicht über eine breit angelegte Perspektive verfügt, die auch die Ursachen für die Armut in der Welt sowie die Ungerechtigkeit in den internationalen Beziehungen zu Kenntnis nimmt…
Die Verlangsamung des Aufschwungs der wirtschaftlichen Entwicklung und die Stagnation des Welthandels während der 80er Jahre hat die Fähigkeit aller Nationen in Frage gestellt, zu reagieren und sich anzupassen. Die Entwicklungsländer, die auf den Export von Primärprodukten angewiesen sind, waren besonders hart von den fallenden Güterpreisen betroffen. Zwischen 1980 und 1984 haben die Entwicklungsländer etwa 55 Mrd. Dollar bei Exporteinnahmen wegen der fallenden Güterpreise verloren, ein Verlust, den Lateinamerika und Afrika besonders schneidend verspüren.... Zwei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der internationale Wirtschaftsaustausch vorteilhaft für alle Beteiligten wird. Die Dauerhaftigkeit des Ökosystems, von dem die Weltwirtschaft abhängt, muß gewährleistet sein. Und für die Wirtschaftspartner muß die Basis des Austausches gerecht sein. Beziehungen, die unausgeglichen sind und auf der Herrschaft der einen oder anderen Seite basieren, sind keine gute und dauerhafte Basis gegenseitiger Abhängigkeit. Für viele Entwicklungsländer ist keine dieser Bedingungen erfüllt.
Die wirtschaftlichen und ökologischen Verbindungen zwischen den Staaten haben rasch zugenommen. Dies verstärkt noch die Unausgeglichenheit in der wirtschaftlichen Entwicklung und Stärke der Staaten. Die Asymmetrie in internationalen Wirtschaftsbeziehungen verschärft noch die Unausgewogenheit, da die Entwicklungsländer im allgemeinen durch internationale wirtschaftliche Bedingungen beeinflußt werden, aber diese selbst nicht beeinflussen können.
Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen werfen ein besonderes Problem für die armen Länder auf, die versuchen, ihre Umweltbedingungen im Gleichgewicht zu halten, da die Ausfuhr von Naturrohstoffen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist; vor allem trifft dies die am wenigsten entwickelten Länder. Die meisten dieser Länder sind mit Instabilität und ungünstigen Preistrends konfrontiert; dadurch können sie ihre natürliche Ressourcenbasis nicht für dauerhafte Produktionen erhalten. Die Last der Schuldendienste steigt, und der neue Kapitalzufluß sinkt; dies begünstigt die Kräfte, die zu Umweltzerstörung und Ressourcenerschöpfung führen, all dies auf Kosten langfristiger Entwicklung. In vielen Entwicklungsländern erfordert Wachstum auch Auslandkapitalzuflüsse in Form von Entwicklungshilfe. Ohne angemessene Kapitalzuflüsse ist die Aussicht jeglicher Verbesserungen des Lebensstandards trübe. Denn die Armen werden gezwungen sein, ihre Umwelt übermäßig zu nutzen, um ihr eigenes Überleben sicherzustellen.
Langfristige Entwicklung wird somit viel schwieriger und in einigen Füllen unmöglich. Dennoch gibt die Entwicklung in der Kapitalbewegung zu Sorge Anlaß. Der Netto-Kapital-Zufluß in Entwicklungsländer ist in absoluten Zahlen gefallen; alles in allem findet jetzt ein Netto-Kapital-Abfluß statt.
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