Wirtschaft und Wirtschaftsentwicklung in der Ära Kohl. Rückblick des Sachverständigenrates auf die wirtschaftliche Entwicklung in den 80er Jahren (November 1989)
Das in diesem Jahr zu Ende gehende Jahrzehnt stellt wegen der langen Dauer der konjukturellen Aufwärtsbewegung einen außergewöhnlichen Abschnitt in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik dar. Die günstige Entwicklung der letzten beiden Jahre hat nahezu vergessen lassen, daß sich zu Beginn der achtziger Jahre im Hinblick auf die Aussichten für das bevorstehende Jahrzehnt tiefer Pessimismus in der Wirtschaft ausgebreitet hatte. Nach der überraschend schnellen und kräftigen Erholung von dem Ölpreisschock 1973/74 war die westdeutsche Wirtschaft zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre in den Sog einer weltweiten Rezession geraten, die wiederum in einer absoluten Schrumpfung des Welthandelsvolumens kulminierte.
Der Pessimismus in der deutschen Wirtschaft wurde indessen weniger von den weltwirtschaftlichen als von den hausgemachten Problemen genährt. Er wurzelte auch nicht in erster Linie in der Inflationsfurcht, wenngleich die Geldentwertungsrate auch in der Bundesrepublik deutlich gestiegen war. Im Zentrum stand vielmehr die Sorge, daß Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr die Flexibilität und Dynamik aufbringen könnten, die für einen raschen Wandel der Produktions- und Beschäftigungsstrukturen an Veränderungen der Nachfrage, der Faktorpreisrelationen, des technischen Wissens und der Wettbewerbsverhältnisse auf den Weltmärkten erforderlich waren.
In der Bundesrepublik Deutschland wie in nahezu allen Industrieländern hatte man erkannt, daß die in den siebziger Jahren zeitweise betriebene geldpolitische und finanzpolitische Expansion nicht die erwarteten Wirkungen hatte, weil die Arbeitslosigkeit größtenteils entweder strukturell bedingt war oder sich zu einem Strukturproblem verfestigt hatte. Als wirtschaftspolitische Alternative bot sich die Verbesserung der Angebotsbedingungen an, insbesondere der lnvestitionsbedingungen. Diese Konzeption umfaßt im Kern drei Teile:
- Eindämmung der Inflation und Reduzierung der Budgetdefizite zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Staates und zur Wiedergewinnung des Vertrauens von Investoren und Konsumenten·
- Abbau von Hemmnissen und Regelungen, die die wirtschaftliche Aktivitäten erschweren, verteuern oder in eine unproduktive Richtung führen; hierzu gehören die Senkung der Besteuerung sowie der Abbau von staatlichen Eingriffen und Regulierungen auf den Geldmärkten·
- Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes: insbesondere durch die Rückführung der Lohnsteigerungsrate auf die gesamtwirtschaftliche Produktivitätsentwicklung und die Differenzierung der Lohnrelationen, soweit Maßnahmen zur Förderung der Mobilität, Flexibilität und Qualifikation des Arbeitskräfteangebots nicht ausreichen.
Dieser wirtschaftliche Richtungswechsel wurde in nahezu allen Industrieländern vollzogen, doch gab es im Hinblick auf den Zeitpunkt, die Dosierung und die Priorität der einzelnen Schritte zum Teil erhebliche Unterschiede .... Ziel der Finanzpolitik in den achtziger Jahren war es, die Beanspruchung der volkswirtschaftlichen Ressourcen durch den Staat zurückzuführen, um mehr Raum für private Aktivitäten zu schaffen. Zunächst hatte dabei die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte über die Ausgabenseite Vorrang. Die Weichen für die Begrenzung des Ausgabenanstiegs wurden mit der sogenannten Operation '82 sowie mit den Haushaltsbegleitgesetzen 1983 und 1984 gestellt. Nach der Reduzierung der Neuverschuldung sollte die Begrenzung des Ausgabenanstiegs zur steuerlichen Entlastung der Einkommen genutzt werden. Die Senkung der Einkommensteuer wurde auf drei Stufen verteilt und für die Jahre 1986, 1988, 1990 in Kraft gesetzt. Auf lange Sicht sollte die Konsolidierung der Haushalte und die Entlastung der Einkommen über die Verringerung der Zinslast und über die Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums aber auch wieder mehr Spielraum für staatliche Leistungen eröffnen.
Die Bilanz der Finanzpolitik der achtziger Jahre ist im ganzen positiv. Das "Gesetz der wachsenden Staatsausgaben" verlor zumindest vorübergehend seine Gültigkeit, damit wurden das Kapitalangebot für produktive Investitionen vergrößert, eine nachhaltige Senkung der Abgabensätze begonnen und das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates gestärkt. Negativ fällt dagegen die Bilanz hinsichtlich der qualitativen Konsolidierung aus, die eine wachstumsfreundliche Umgestaltung der Ausgabenstruktur zum Ziel haben sollte. Bei der Steuerreform wäre eine stärkere wachstums- und beschäftigungspolitische Orientierung wünschenswert gewesen ....
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