Erklärung von Bundeskanzler Helmut Schmidt vor dem Deutschen Bundestag am 1. Oktober 1982 anläßlich des gegen ihn angestrengten Mißtrauensvotums
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Die sozial-liberale Koalition, deren gewählter Bundeskanzler heute durch ein Mißtrauensvotum gestürzt werden soll, hat 1980 durch die Wählerinnen und Wähler eine überzeugende Bestätigung und einen Auftrag für weitere vier Jahre bekommen ....
Dieser Regierungswechsel, den Sie anstreben, berührt die Glaubwürdigkeit unserer demokratischen Institutionen. Aber auch andere Werte könnten auf dem Spiele stehen. lch habe die Absicht, mich dazu in zwölf Punkten zu äußern ....
Wir haben zwischen zwei extremen ökonomischen Theorien, wie sie heute in einigen Staaten des Westens tatsächlich ausprobiert werden, einen mittleren Kurs gewählt. Wir haben weder eine inflationistische Ausweitung des Staatskredits noch eine deflationistische Schrumpfungspolitik betrieben. Das hat sich ausgezahlt: Unsere Zahlungsbilanz ist gesund, unsere Währung ist stabil, der Preisanstieg in der Bundesrepublik ist der geringste in der Europäischen Gemeinschaft, aber unsere realen Löhne sind die höchsten in der Europäischen Gemeinschaft.
Ich warne vor den Folgen einer deflationistischen Politik, CDU, CSU und FDP wollen nach ihren veröffentlichten Vereinbarungen die Haushalte kürzen und die allgemeine Nachfrage senken oder drosseln. Sie wollen für die Wirtschaft Steuern senken, obgleich schon heute die steuerliche Situation für die Unternehmen die günstigste sei der Währungsreform ist, schon heute! Es soll hier die ,Angebotspolitik' kopiert werden. Sie wird genau wie in Amerika, wo das zwei Jahre früher probiert wurde, im Ergebnis zu stärkerer Arbeitslosigkeit führen.
Die Sache wird nicht dadurch besser, daß CDU/CSU- und FDP-Führung die Steuervergünstigung durch eine Umsatzsteuererhöhung ausgleichen wollen, die jedermann tragen muß und die Sie, meine Damen und Herren von der CDU, uns Anfang des Jahres, als wir sie für die Investitionszulage verwenden wollten, mit der Begründung angeblicher Wirtschaftsfeindlichkeit abgelehnt haben ....
Der Gesamtansatz ihrer öffentlich dargelegten Finanz- und Wirtschaftspolitik ist verfehlt. Er kann bestensfalls eine kurze Scheinblüte auslösen, die nach wenigen Monaten einer sich verstärkenden Arbeitslosigkeit weichen wird. Ich verstehe, daß Sie für diesen Pali schon heute vorbauen möchten, indem Sie den Sozialdemokraten nachträglich und wider besseren Wissen Schuld anlasten wollen. Aber der kritische Bürger durchschaut diese Absicht Ihrer bösen Legendenbildung!
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