Die Krise von 1980/82 und die Notwendigkeit einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Stellungnahme von Gerhard Fels, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (1983)
Die Wirtschaftspolitik, mit der die Bundesrepublik Deutschland bis vor kurzem versucht hat, der Beschäftigungsprobleme Herr zu werden, hat sich nicht als tragfähig erwiesen. Dem Staat wurde zu viel, den Tarifparteien zu wenig Verantwortung zugemutet. Die vitalen Kräfte des Marktes haben sich in überzogenen staatlichen Regulierungen verfangen. Am Ende stehen eine hohe und weiter zunehmende Staatsverschuldung, ein nicht mehr finanzierbares Sozialsystem. ein überhöhtes Kostenniveau und erstarrte Marktstrukturen. Die weltwirtschaftlichen Störungen, die in unsere Wirtschaft hineingetragen wurden, sind durch die Politik nicht abgeschwächt, sondern verstärkt worden. Der wachstumsnotwendige Strukturwandel stockt. Seit Jahren gibt es kein wirtschaftliches Wachstum mehr. Die Arbeitslosigkeit erreicht den höchsten Stand seit der Nachkriegszeit. Was wir seit Anfang der achtziger Jahre in der Weltwirtschaft beobachten, ist die abrupte Realisierung von Kapitalverlusten1. Im Gefolge der Ölpreisschübe kam es zu einer Inflationswelle, der vor allem die Vereinigten Staaten mit einer Politik der Geldverknappung entgegentraten. Hohe Zinsen signalisierten Unsicherheit und ungelöste Anpassungsprobleme. Überkapazitäten in alten Industrieländern und verstärkte Exportanstrengungen in jungen lndustrieländern ließen einen starken Angebotsdruck auf den internationalen Märkten entstehen. Viele Arbeitsplätze wurden vernichtet, müssen durch neue an anderer Stelle ersetzt werden. Bei uns hat der Strukturwandel große Teile unseres Kapitalstocks. unseres Know-how und unserer Forderungen gegenüber ausländischen Gläubigern entwertet. Die Kapitalverluste nagen am Risikopolster von Unternehmen und Banken. Viele Produktionen rentieren sich nicht mehr, neue Produktionschancen werden wegen hoher Kosten, großer Unsicherheit und Mangel an risikotragendem Kapital nicht zügig genutzt.
Erst nachdem die Inflation unter Kontrolle war, konnten die Notenbanken ihre Politik des knappen Geldes lockern. Inzwischen zeichnet sich unter dem Einfluß niedrigerer Zinsen und niedrigerer Ölpreise eine wirtschaftliche Belebung ab. Die Bedingungen für einen soliden Aufschwung, der zur Vollbeschäftigung zurückführt, sind jedoch noch nicht vorhanden. In der Rezession von 1967 gab es 0,6 Millionen Arbeitslose in der Rezession von 1976 waren es 1,2 Millionen. In der gegenwärtigen Krise hat sich die Zahl wiederum verdoppelt. Die Gefahr liegt darin, daß sich der Abwärtstrend fortsetzt, weil bei den gegebenen ordnungspolitischen Bedingungen die konjunkturellen Aufschwungsphasen immer kürzer und die konjunkturellen Abschwungsphasen immer länger werden. Diesen Abwärtstrend gilt es zu durchbrechen. Die Herausforderung trifft den Staat mit seiner Finanzpolitik und seiner Sozialpolitik, die Tarifparteien mit ihrer Lohnpolitik. Sie stellt genauso Gesetze und Institutionen in Frage, die sich heute als Wachstumshemmnis erweisen. Fundamentalkorrekturen sind unvermeidlich.
Ein Redynamisierung der Wirtschaft kann nur über eine angebotsorientierte Politik erreicht werden. Mangel an Dynamik hat seine Ursachen darin, daß die Anreizmechanismen gestört sind, vor allem daß die Löhne überhöht und die Lohnrelationen verzerrt sind, daß übermäßige Staatsdefizite einen großen Teil der privaten Ersparnis vernichten, daß die Höhe und die Art der Besteuerung die Kapitalbildung und das Investieren erschweren, daß Regulationen wichtige Märkte außer Funktion setzen, daß Zugangsbarrieren Unternehmensgründungen und Neuerungswettbewerb abwürgen, daß soziale Sicherungsmechanismen den Strukturwandel lähmen und daß eine weiche Sozialtechnik Arbeit und Leistung wenig attraktiv erscheinen läßt. Angebotspolitik will diese Störungen in den volkswirtschaftlichen Regelkreisen beseitigen. Der Staat ist dabei nicht in der Rolle jener Superinstanz, die all das korrigiert, was als Defekt der Privatwirtschaft angesehen wird. Er ist Verursacher der Störungen, deshalb Objekt der Therapie, nicht Subjekt, Teil des Problems, nicht dessen Lösung.
Die Probleme so zu sehen, heißt die Vorstellung zu verwerfen, daß die Misere ganz oder überwiegend auf einem Nachfragemangel beruht, der durch expansive Geldvermehrung und weitere kreditfinanzierte Staatsausgaben zu beheben wäre. Jeder Versuch einer solchen Nachfragepolitik würde erneut Inflationsfurcht erzeugen und die Zinsen wieder steigen lassen.
1 Kapitalverluste, hier: Entwertung von Produktionsanlagen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren haben, weil zu teuer produziert oder zu wenig nachgefragt wird.
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