Die Krise von 1980/82 als Folge einer ungenügenden gesamtwirtschaftlichen Nachfragepolitik. Stellungnahme von Fritz W. Scharpf, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung (1987)
Nachdem aber seit 1979 das weltweite Zinsniveau zu steigen begonnen hatte, war nicht nur die Wachstumspolitik wesentlich schwieriger, sondern es war auch möglich geworden, die Einkommensinteressen der Kapitalbesitzer abgekoppelt von Wachstum und Beschäftigung unmittelbar auf den nationalen und internationalen Kapitalmärkten zu befriedigen. Während also zuvor Kapitalinteressen und Arbeitnehmerinteressen trotz allfälliger Verteilungskonflikte nur gemeinsam gewinnen konnten, war jetzt die Wachstumspolitik für die FDP- Klientel weniger wichtig geworden als die Verteilungs- und Steuerpolitik - von der es schließlich abhing, wieviel man von den erzielten Kapitaleinkommen behalten konnte. Erst dadurch wurde die politische Ökonomie der sozialliberalen Koalition zum Nullsummenkonflikt.
Ihren ideologischen Ausdruck fand die neue Interessenkonstellation in der Auseinandersetzung zwischen der keynesianischen "Nachfragetheorie" und der sogenannten "Angebotstheorie"1, die sich in den siebziger Jahren in der akademischen Ökonomie, im Sachverständigenrat und nun auch in der Wirtschaftspolitik der FDP immer mehr durchsetzte, Aus der richtigen Prämisse, daß bei weltweit hohen Zinsen die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit notwendigen zusätzlichen Investitionen nur noch bei höheren Gewinnerwartungen zustande kommen konnten, wurde der einseitige Schluß gezogen, daß die Gewinnerwartungen in erster Linie durch Senkung der Lohnkosten und der Abgabenbelastung verbessert werden mußten - und nicht durch die von den keynesianischen Ökonomen, den Gewerkschaften und den Sozialdemokraten favorisierte Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Vermutlich hätten sich die Sozialdemokraten sogar mit den Verteilungsfolgen der von der FDP praktizierten Angebotspolitik abgefunden, wenn sie wenigstens hätten sicher sein können, daß die höheren Kapitaleinkommen auch den Investitionen und am Ende der Beschäftigung zugute kommen würden. Da das deutsche Steuerrecht jedoch seit den sechziger Jahren eine systematische Begünstigung der reinvestierten gegenüber den entnommenen Gewinnen nicht mehr kennt, sprach vieles für die Vermutung, daß angebotstheoretisch begründete Steuerentlastungen und Subventionen nur den Kapitaltransfer aus den Unternehmen in die internationalen Geldmärkte und in hochverzinsliche Staatsanleihen beschleunigten.
Nach der Bundestagswahl (1980) fand die neue politisch-ökonomische Konstellation ihren Ausdruck in einer scheinbar finanzwirtschaftlich inkompetenten und ökonomisch konterproduktiven Sparpolitik der Bundesregierung…. Die Durchsetzung des Sparprogramms folgte nämlich einem simplen strategischen Muster, gegen das die SPD bis zuletzt keine wirksame Verteidigung fand: Die zur Haushaltskonsolidierung notwendigen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen mußten selbstverständlich beim Sozialkonsum und bei den Masseneinkommen ansetzen, wenn sie quantitativ zu Buche schlagen sollten; und wenn dann die SPD bei steigenden Arbeitslosenzahlen gegen den hinhaltenden Widerstand der FDP neue beschäftigungspolitische Initiativen durchsetzte, dann mußten diese ebenso selbstverständlich die Abgabenbelastung der Kapitalseite vermindern oder die Kapitalsubventionen erhöhen. Und da überdies die Opposition im Bundesrat in der Lage war, unpopuläre Steuererhöhungen zu blockieren, zu denen die Koalition sich schließlich durchgerungen hatte, machte die politische Selbstverpflichtung zur Haushaltskonsolidierung neue Sparaktionen erforderlich, die sich selbstverständlich dann wieder vor allem gegen die von der SPD vertretenen Interessen richteten. Kein Wunder, daß schließlich sogar die bis zur Selbstverleugnung loyalen DGB-Gewerkschaften Massenproteste gegen die regierenden Sozialdemokraten organisierten.
Mit der „Operation 83" war dann endlich die Leidensgrenze der Sozialdemokraten und Gewerkschaften doch überschritten. Als Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff im Spätsommer 1982 für den Kanzler die noch viel weitergehenden Umverteilungsforderungen der FDP zu Papier brachte, mußten auch koalitionstreue Sozialdemokraten einsehen, daß gegenüber der Restriktionspolitik der Bundesbank, der Umverteilungspolitik der FDP und der Blockadepolitik der CDU/CSU im Bundesrat das wirtschaftspolitische Spiel nicht mehr zu gewinnen war. Bis es so weit war, hatte freilich die SPD den einschneidensten Kürzungen im "sozialen Netz" schon zugestimmt und die politische Verantwortung für den Anstieg der Arbeitslosigkeit bis zur Zwei- Millionen-Grenze auf sich geladen.
1 Nachfrage- und Angebotspolitik: Die Nachfragepolitiker sehen den Ansatzpunkt zur Krisenüberwindung in direkten Maßnahmen zur Steuerung der Gesamtnachfrage (höhere Staatsausgaben. Erhöhung der Masseneinkommen). Die Angebotspolitiker wollen die Krise durch Verbesserung der Produktionsbedingungen (Abbau von hemmenden Vorschriften) und der Gewinne der Unternehmen (Minderung der Kosten), lösen, damit zunächst zusätzliche Investitionen als Voraussetzung für eine wachsende Gesamtnachfrage angeregt bzw. ermöglicht werden.
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