Ökopax - die neue Kraft. Kritische Bewertung der Thesen Löwenthais durch Peter von Oertzen, Exponent des linken Flügels der SPD, September/Oktober 1982
Die Thesen Löwenthais von der notwendigen Entscheidung der SPD zwischen den - fleißigen - Arbeitnehmern der arbeitsteiligen Industriegesellschaft und den - faulenzenden - "Aussteigern" wird schlicht und einfach von der gesellschaftlichen Realität widerlegt. Daß die Glieder der neuen sozialen Bewegung und die Grün/Alternativen in ihrer großen Mehrheit keine "Aussteiger" sind, sondern - vielleicht mehr oder weniger zähneknirschend - in der "arbeitsteiligen Industriegesellschaft" mitwirken, ist offensichtlich, auch wenn sie den Zielen, Werten und Verhaltensweisen dieser Gesellschaft zunehmend kritisch begegnen ....
Das Sozialprofil der Grün/Alternativen ist dabei völlig klar: Überwiegend Dienstleistung, Angestellte/Beamte, höhere Qualifikation, nach 1945 geboren und überproportional im öffentlichen Dienst. Bemerkenswert ist nun freilich, daß diese Feststellungen auch für einen großen Teil der Wähler der SPD, für die Mehrheit ihrer Mitglieder und für die große Mehrheit ihrer Funktionäre zutreffen. Der von Helmut Schmidt so oft und so gerne berufene Typ des Industriefacharbeiters repräsentiert schon heute unter den Arbeitnehmern - und den sozialdemokratischen Wählern - nur noch eine Minderheit (wenn auch eine wegen ihrer gewerkschaftlichen und betrieblichen Schlüsselpositionen, ihres hohen Organisationsgrades und ihrer sozialen Disziplin immer noch sehr einflußreichen Minderheit). Gestützt auf diese Gruppe allein sind gesellschaftliche Mehrheiten jedoch schon heute nicht mehr möglich; und die ökonomisch-soziale Entwicklung geht weiter: weg von der Produktions- und hin zur Dienstleistungsgesellschaft, weg vom klassischen Industriehandwerker und -facharbeiter hin zu einer neuen Arbeitnehmermehrheit aus einer Vielzahl spezialisierter Berufs- und Statusgruppen ....
Eine kurze Musterung der bisher zusammengetragenen Fakten zeigt, daß eine "rot-grüne" Zusammenarbeit keinen größeren Schwierigkeiten begegnen würde als eine Zusammenarbeit zwischen SPD und einer demokratischen links-sozialistischen Partei, freilich auch keinen geringeren: - Ökonomie - Ökologie - Gesellschaftspolitik. Das so zentrale Wachstumsproblem ist durch die kapitalistische Stagnation selbst relativiert worden. Die Stichworte: "welches Wachstum?" und "humanes Wachstum" sind durch die SPD selbst gegeben worden ....
- Auf den Feldern von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit liegt der eigentliche Streitpunkt "nur" bei der prinzipiellen Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols. Dies bedeutet nicht, daß jedes ungerechte Gesetz und jede idiotische Entscheidung der Bürokratie politisch widerstandslos hingenommen werden muß, wohl aber die Einsicht, daß Politik dort aufhört, wo der offene Bürgerkrieg anfängt...
- Eine Politik, die die "Nachrüstung", das heißt die Aufstellung von "Pershing II" und "Cruise missile" in Westeuropa erübrigt, ist der außenpolitische Mindestkonsens. Über alles übrige: Neues konventionelles Verteidigungskonzept, atomwaffenfreie Zonen, größere politische Unabhängigkeit von den USA - ohne Anlehnung an die UdSSR - sollte und müßte diskutiert werden
können ...
- Eine Übereinstimmung der objektiven Interessen (auch wenn das subjektiv geleugnet werden sollte) besteht zwischen grün/alternativer "Partei" und SPD schließlich auch in der allgemeinen strategischen Grundfrage nach den politischen Mehrheiten in den Parlamenten und vor allem in der Bevölkerung selbst. Die grün/alternative "Partei" wird eine Minderheit bleiben und werde sie auch so stark wie die französische oder die italienische KP (was nicht sehr wahrscheinlich ist); sie braucht Verbündete, wenn sie Teile ihres Programms verwirklichen will. Die SPD kann unter den Bedingungen der spätkapitalistischen Dauerstagnation zwar mit CDU/CSU und FDP noch Regierungen bilden; sozialdemokratische Reformpolitik wird sie mit diesen Parteien für lange Zeit nicht mehr treiben können. Sozialdemokraten und Grün/Alternative gemeinsam könnten - vielleicht und unter bestimmten Bedingungen - wenigstens Teile ihre jeweiligen Programms verwirklichen.
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