Der vor allem von Bundeskanzler Helmut Schmidt initiierte NATO-Doppelbeschluß vom 12. Dezember 1979 war ein Signal westlicher Entschlossenheit, die wachsende sowjetische Bedrohung durch nukleare Mittelstreckenwaffen, insbesondere durch die auf Westeuropa gerichteten SS-20Raketen, nicht länger hinzunehmen und ihr durch die Stationierung nuklearer amerikanischer Mittelstreckenwaffen auf europäischem Boden zu begegnen. Unter ausdrücklichem Bezug auf den Harmel-Bericht von 1967und das Doppelziel von "Sicherheit und Entspannung" erklärte sich die NATO jedoch bereit, auf eine solche Nachrüstung zu verzichten, wenn die Sowjetunion ihrerseits zu einer "Politik des Gleichgewichts" zurückkehren und ihre nuklearen Mitteistreckensysteme abbauen würde. Da der Verhandlungsansatz zunächst ohne Erfolg blieb, wurde in Westeuropa, wie im Doppelbeschluß angekündigt, ab 1983 mit der Aufstellung amerikanischer Mittelstreckenraketen (Pershing-lI) und von Marschflugkörpern (Cruise Missiles) begonnen.
Der Doppelbeschluß von 1979 stieß nicht nur auf die heftige Kritik der Sowjetunion und ihrer Verbündeten, sondern er löste auch innerhalb der Bundesrepublik eine breite Prostestbewegung gegen die Nachrüstung aus, die von Massendemonstrationen in bisher nicht gekanntem Ausmaß begleitet waren. Der Widerstand gegen die Stationierung neuer amerikanischer Atom, warten wirkte
zugleich als entscheidender Katalysator für die Herausbildung der Friedens- und Ökologiebewegung an der Epochenwende der achtziger Jahres (s. Kap. III, 2). Hierbei näherten sich die Sozialdemokraten den Positionen der Friedensbewegung die auf einer bedingungslosen Ablehnung der westlichen Nachrüstung bestand, immer mehr an, so daß Bundeskanzler Schmidt, der sein politisches Überleben bzw. das Schicksal der sozial-liberalen Koalition von einer Zustimmung der SPD zum Doppelbeschluß abhängig gemacht hatte, schließlich in seiner eigenen Partei ohne Mehrheit war.
Der Vollzug des Doppelbeschlusses durch die westlichen Regierungen im Jahre 1983 leitete, längerfristig gesehen, indes nicht eine weitere, irreversible Spirale im nuklearen Wettrüsten der Supermächte ein, sondern er bereitete recht eigentlich den ersten historischen Durchbruch an der „Abrüstungsfront“ in Gestalt des Washingtoner INF-Abkommen vom 8. Dezember 1987 vor. (s. Kap.
IV, 1).
Sowjetische Dominanz gefährdet Europa. Aus einer Analyse von Hubertus Hoffmann in der "Europäischen Wehrkunde", 1981
Die NATO kann im Rahmen ihrer Strategie in der Mitte ihrer Abschreckungsleiter auch in den 80er Jahren keine mehrfache Überlegenheit Moskaus akzeptieren .... Die westeuropäischen NATO-Mitglieder mußten sich dann nolens volens der eindeutigen konventionellen und atomaren Dominanz Moskaus in Europa politisch beugen.
Die mehrfache Überlegenheit des Warschauer Paktes an konventionellen Kräften könnte nicht mehr glaubhaft mit der Androhung eines Ersteinsatzes von Nuklearwaffen der NATO neutralisiert werden. Diese westliche Eskalationsbedrohung - unverzichtbarer Bestand der Flexible Response – würde durch die faktische Überlegenheit Moskaus an nuklearen Waffen in Europa unglaubwürdig werden. Zwar könnte der Westen noch mit einem massiven strategischen Schlag drohen, doch ist eine Rückkehr der NATO zur Strategie der massiven Vergeltung, in einer Dekade strategischer Parität beider Supermächte, nicht mehr möglich, zumindest äußerst unglaubwürdig.
Der konventionelle Krieg in Europa wäre damit wie nie zuvor seit Ende des zweiten Weltkrieges allein für Moskau denkbar und planbar ....
Westeuropa stehen in den 50er Jahren grundsätzlich nur die drei Grundentscheidungen offen:
1. Anpassung an die sich abzeichnende militärpolitische Hegemonie Moskaus.
2. Beschränkung und Abbau des sowjetischen Potentials in Rüstungskontrollvereinbarungen.
3. Nachrüstung im konventionellen und atomaren Bereich, d. h. Anpassung an das sich ändernde militärische Kräfteverhältnis in Europa, um so die Abschreckung stufenlos glaubwürdig zu erhalten.
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