Wormser Judenprivileg Kaiser Friedrichs I. Barbarossa vom 6. April 1157
Druck in: MGH DD Friedrich I. Nr. 166, S. 284-286 u. MGH Constitutiones Bd. 1 Nr. 163; [Abbildung]
Die direkte Vorlage dieses Privilegs ist jenes, das Heinrich IV. 1090 den Wormser Juden ausstellte. Friedrich I. übernahm die Bestimmungen als Transsumpt, d.h. er zitierte den Urkundentext Heinrichs IV. und stand selbst dafür ein, dass sie eingehalten wurden.
Die Zeit der ersten Kreuzzüge ab 1096 hatte der jüdischen Gemeinde von Worms schwer zu schaffen gemacht. Durch die Gewalt der Kreuzfahrer gegen Andersgläubige und durch Zwangstaufen war sie derartig dezimiert worden, dass sie erst 1112 wieder in Urkunden Erwähnung findet. Die folgende Zeit war geprägt durch Unsicherheit: Vertreibungen, Verfolgung und Wiedereingliederung wechselten einander ab.
Fraglich ist, für wen das Privileg ausgesprochen wurde. Als Adressaten sind genannt die Iudeis de Wormacia et ceteris sodalibus, die Wormser Juden und Glaubensgenossen. In der Forschung ist umstritten, ob dieser Ausdruck schon für die gesamte Judenschaft des Reiches gelten kann oder ob es sich nur um einen kleineren Teil handelt. Definitiv weitet Friedrich II. die Gültigkeit des Privilegs auf alle Juden der deutschen Reichsteile aus. Nach Kisch existierte ein reichsweiter Judenschutz bereits ab dem Mainzer Reichslandfrieden von 1103, Friedrich Lotter sieht ihn erst ab dem Augsburger Judenprivileg Friedrichs II. endgültig umgesetzt. Alexander Patschovsky hingegen vertritt die Meinung, bereits aus diesem Privileg Friedrichs I. gehe hervor, dass alle Juden des Reiches ihm in einem Schutzverhältnis unterstanden und sie damit seiner Kammer angehörten. 1179 bezeichnet Friedrich I. die Juden im rheinfränkischen Landfrieden ausdrücklich als zu seiner Kammer gehörig (iudei, qui ad fiscum imperatoris pertinent). Diese „Kammerzugehörigkeit“ wird unter Friedrich II. zur „Kammerknechtschaft“.
Übersetzung:
(1) Weil Wir also wollen, daß sie wegen jeglicher Rechtssache nur Uns berücksichtigen müssen, bestimmen Wir kraft Unserer königlichen Würde, daß weder Bischof, Kämmerer, Graf, Schultheiß noch überhaupt sonst jemand, es sei denn sie selbst hätten ihn aus ihrer Mitte erwählt, sich herausnehmen soll, wegen irgendeiner Streitsache oder Abgabe infolge eines Rechtsfalles mit ihnen oder gegen sie zu verhandeln, es sei denn allein derjenige, den der Kaiser aufgrund ihrer Wahl, wie zuvor gesagt, über sie setzt — besonders da sie Unserer Kammer zugehören [ad cameram nostram attineant] —, wie es uns gut dünkt.
(2) Von den Sachen, die sie nach Erbrecht besitzen in Form von Grundstücken, Gärten, Weinbergen, Äckern, Knechten oder sonstigem beweglichem oder unbeweglichem Hab und Gut, soll sich keiner vermessen, irgendetwas wegzunehmen. In dem Freiraum, den sie an Baulichkeiten an der Stadtmauer innerhalb und außerhalb besitzen, soll sie keiner behindern. Wenn aber einer versucht, sie gegen diesen Unseren Erlaß irgendwie zu belästigen, so ist er schuldig wider Unsere Huld, er muß ihnen aber die Sachen, die er gestohlen hat, in doppelter Höhe zurückerstatten.
(3) Sie sollen auch die freie Befugnis haben, in der ganzen Stadt mit jedermann Silber zu wechseln, ausgenommen lediglich vor dem Münzhaus oder wo sich andere Münzleute zum Wechseln niedergelassen haben.
(4) Innerhalb des Gebietes Unseres Reiches dürfen sie frei und friedlich umherziehen, um ihre Geschäfte und ihren Handel auszuüben, um zu kaufen und zu verkaufen; und keiner soll von ihnen Zoll fordern noch irgendeine öffentliche und private Abgabe erheben.
(5) In ihren Häusern sollen ihnen ohne ihre Einwilligung keine fremden Gäste aufgeladen werden; keiner soll von ihnen ein Pferd für einen Zug des Königs oder Bischofs oder Frondienste für einen königlichen Heereszug fordern.
(6) Wenn aber Diebsgut bei ihnen gefunden wird, und wenn der Jude sagt, er habe es gekauft, soll er durch einen Schwur nach seinem Gesetz beweisen, wie teuer er es gekauft hat, und soviel soll er dafür erhalten und die Habe demjenigen, dem sie zu eigen war, zurückerstatten.
(7) Niemand soll sich herausnehmen, deren Söhne oder Töchter gegen ihren Willen zu taufen, doch falls er gewaltsam Gefangengenommene, heimlich Geraubte oder Gezwungene tauft, soll er zwölf Pfund Gold an das Schatzamt des Königs zahlen. Wenn aber einer von ihnen freiwillig getauft werden will, so soll dies drei Tage aufgeschoben werden, damit man eindeutig erkennen kann, ob er wirklich wegen des christlichen Glaubens oder wegen eines ihm zugefügten Unrechts sein Gesetz verlassen will; und wie sie das Gesetz ihrer Väter verlassen haben, so sollen sie auch ihren Erbbesitz verlassen.
(8) Auch soll keiner ihre heidnischen Knechte unter dem Vorwand christlichen Glaubens taufen und dadurch ihrem Dienst entziehen; wenn er das aber tut, soll er die Bannbuße, das sind drei Pfund Silber, zahlen und den Knecht seinem Herrn zurückgeben; der Knecht aber soll in allem den Anweisungen seines Herrn gehorchen, unbeschadet jedoch der Beobachtung des christlichen Glaubens.
(9) Es soll ihnen erlaubt sein, christliche Mägde und Ammen zu halten und Christen zum Ausführen von Arbeiten zu mieten, ausgenommen an Festtagen und an Sonntagen; dagegen darf auch kein Bischof oder Geistlicher Einspruch erheben.
(10) Es soll ihnen nicht erlaubt sein, einen christlichen Knecht zu kaufen.
(11) Wenn nun ein Jude mit einem Christen oder ein Christ mit einem Juden Streit hat, so sollen beide, je nachdem wie der Fall liegt, sich ihrem Gesetz gemäß Recht verschaffen und ihren Fall beweisen. Und so wie es einem jeden Christen erlaubt ist, durch einen öffentlichen Schwur von ihm selbst und je einem Zeugen der beiden Rechte zu beweisen, daß die durch ihn dem Juden gestellten Bürgen erfüllt haben, so soll es auch einem Juden erlaubt sein, durch einen öffentlichen Schwur von ihm und einem Juden und einem Christen zu beweisen, daß die durch ihn dem Christen gestellten Bürgen erfüllt haben; und er soll nicht weiter vom Kläger noch vom Richter behelligt werden.
(12) Niemand soll einen Juden zum Gottesurteil mit glühendem Eisen, heißem oder kaltem Wasser zwingen, mit Ruten geißeln noch in den Kerker werfen, vielmehr soll er seinem Gesetz gemäß nach vierzig Tagen schwören. Niemand soll in irgendeiner Streitsache durch Zeugen, es sei denn durch Juden und Christen gemeinsam, überführt werden können. In jeder Rechtssache dürfen sie das königliche Hofgericht anrufen, Fristen sollen ihnen gewährt werden. Wer immer sie gegen diese Unsere Verfügung belästigt, soll dem Kaiser die Bannbuße, das sind drei Pfund Gold, zahlen.
(13) Wenn jemand gegen einen von ihnen einen Plan ausheckt oder ihm nachstellt, um ihn zu töten, so sollen beide, Ratgeber und Mörder, zwölf Pfund Gold an das Schatzamt des Königs zahlen. Wenn er ihn aber verwundet, nur nicht tötlich, soll er ein Pfund Gold Buße zahlen. Und wenn es ein Knecht ist, der ihn tötet oder verwundet, soll sein Herr das obengenannte Bußgeld leisten oder den Knecht zur Bestrafung ausliefern. Wenn er nun aus Armut das Genannte nicht zahlen kann, soll er mit derselben Strafe belegt werden, mit der zu Zeiten Kaiser Heinrichs [Kaiser Heinrich III.], Unseres Urgroßvaters, derjenige gestraft wurde, der den Juden namens Vivus getötet hat, und zwar sollen ihm die Augen ausgestochen und die rechte Hand abgeschlagen werden.
(14) Wenn die Juden einen Streit oder eine Rechtssache untereinander zu entscheiden haben, sollen sie von ihresgleichen und nicht von anderen Leuten gerichtet werden. Und wenn unter ihnen einmal ein Treuloser die Wahrheit über eine unter ihnen verübte Tat verheimlichen will, so soll er dem, der ihr Bischof ist, die Wahrheit zu bekennen gezwungen werden. Wenn sie aber wegen einer großen Sache beschuldigt werden, sollen sie eine Frist beim Kaiser erhalten, wenn sie wollen.
(15) Außerdem sollen sie die Erlaubnis haben, ihren Wein, Kräuter und Arzneien an Christen zu verkaufen, und, wie Wir vorher gesagt haben, keiner soll von ihnen Spannpferde, Frondienste oder irgendeine öffentliche oder private Abgabe fordern.
Und damit dieses Verleihungsgebot allzeit unverletzt bleibe, haben Wir daraufhin diese Urkunde ausfertigen und mit dem Aufdruck Unseres Siegels versehen lassen. Zeugen dieses Vorgangs sind: Arnold Erzbischof von Mainz, Konrad Bischof von Worms, Gunther Bischof von Speyer, Hermann Bischof von Verden, Konrad Pfalzgraf bei Rhein, Friedrich Herzog von Schwaben — Sohn König Konrads —, Graf Emicho von Leiningen, Ulrich von Horningen, Markward von Grumbach.
Handzeichen des Herrn Friedrich, Römischer Kaiser, allzeit Mehrer des Reiches. Ich, Kanzler Rainald, habe in Vertretung des Erzbischofs von Mainz die Ausfertigung beglaubigt.
Gegeben zu Worms, am 6. April, unter der Herrschaft des Herrn Friedrich, unüberwindlichster Römischer Kaiser, in der 5. Indiktion, im Jahre der Geburt des Herrn 1157, im 5. Jahr seines Königtums und im 2. seines Kaisertums. Geschehen in Christus. Heil und Segen. Amen.
Übersetzung in: Quellen zur deutschen Verfassungs- Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, ausgew. u. übersetzt von L. WEINRICH, Darmstadt 1977, Nr. 63, S. 241-247.
Aufgabenstellung:
Das Wormser Judenprivileg Kaiser Friedrichs I. Barbarossa vom 6. April 1157 eignet sich für einen Vergleich mit dem Judenprivileg Kaiser Heinrichs IV., gegeben zu Speyer am 19. Februar 1090, hinsichtlich der garantierten Freiheiten und der Schutzbestimmungen, um die Kontinuität der kaiserlichen Politik herauszustellen.
Wo lassen sich auch Unterschiede feststellen?
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