Bericht des Vorstandes des Ministeriums des Innern, Geheimrat Hassenpflug, über einen Gesetzentwurf, die besonderen Verhältnisse der Israeliten betreffend, 10. Mai 1833
Quelle: StA. Marburg 16 Min.d.Innern Rep.XIV Kl.l Nr.3 vol.II
Zit. nach: Gerhard Hentsch, Gewerbeordnung und Emanzipation der Juden im Kurfürstentum Hessen, Wiesbaden 1979, Dok. C, S. 153-159
Euer Hoheit habe ich die Gnade, meine Ansicht über das Gesetz, welches hinsichtlich der Israeliten zu erlassen sein wird, untertänigst vorzutragen. Weit entfernt, Euer Hoheit einen solchen Antrag ehrerbietigst vorzulegen, welcher die Juden in ihrer bürgerlichen Existenz in diejenigen beschränkenden Zustände zurückzuführen bezweckt, in welchen sie in früheren Zeiten gehalten wurden, geht meine Ansicht nur dahin, daß die Regulierung der Verhältnisse der Juden sich in den durch die Verfassungsurkunde vorgezeichneten Grenzen zu halten habe, gegen deren Ausdehnung so erhebliche Gründe vorhanden sind.
Es scheint mir hiernach nur darauf anzukommen, den Sinn der betreffenden Bestimmungen der Verfassungsurkunde richtig darzustellen. Indem der § 29 von den "den Israeliten bereits zustehenden Rechten" redet, welche "unter den Schutz der Verfassung gestellt sein" sollen, leuchtet es ein, daß unter diesen bereits zustehenden Rechten nur solche Verhältnisse gemeint sein können, welche vor der Verfassungsurkunde bestanden haben. Wenn nun diese Rechte durch ihre Stellung unter den Schutz der Verfassung unzweifelhaft einer fortwährenden Anwendbarkeit zugewiesen werden, so ergibt sich hieraus, daß, um den wahren Sinn des erwähnten § 29 außer Zweifel zu setzen, es nötig wird, eben jene vorhinnigen Verhältnisse der Israeliten, wie solche für einen Teil des Kurstaates durch die Verordnung vom 14. Mai 1816 geordnet sind, gehörig festzustellen.
Der Eingang dieser Verordnung besagt, daß die eigentümliche Verfassung der Israeliten sowohl für deren sittliche Bildung als für den Verkehr mit den übrigen Untertanen nachteilige Folgen hervorgebracht habe, daß aber eine unbedingte Gleichstellung mit jenen ebensowenig rätlich sei. Der erste Paragraph erteilt hierauf in seinem ersten Abschnitte den Israeliten unter den weiter folgenden Bestimmungen und Einschränkungen gleiche Rechte mit den übrigen Untertanen, erklärt im zweiten Abschnitte als Folge hiervon die für die Juden bestandenen besonderen Gesetze und Vorschriften für aufgehoben und hebt sodann ebenwohl als Folge aus jener neuen Anordnung hervor, daß den Juden nunmehr auch "alle Nahrungszweige als Feldbau, Handwerke, Betrieb von Manufakturen und der ordentliche Handel gestattet seien."
Als besondere Einschränkungen kommen nur Bestimmungen über Güter und Häuserbesitz sowie die Art der Benutzung jener vor, jedenfalls ist aber ferner im Vergleich zu den christlichen Untertanen eine weitere Beschränkung in der Vorschrift enthalten, daß mit dem Betriebe der Viehmäkelei, des Leih-, Trödel- und Hausierhandels die eingeräumten bürgerlichen Rechte neben anderen Nachteilen verloren gehen, während christliche Untertanen, ohne einer solchen Einbuße ausgesetzt zu sein, auch auf die eben bezeichnete Weise sich nähren dürfen.
Würde man nun zu der Frage übergehen, welche weiter nicht besonders in der Verordnung von 1816 genannten Rechte den Israeliten durch dieselbe erworben seien, zu welcher Frage noch besonders die in der Oberschrift des Gesetzes sich findende Bezeichnung der Juden als Staatsbürger hinweiset, so erhält man hierauf schon dadurch eine Antwort, wenn man sich vergegenwärtigt, wie überhaupt den Untertanen im allgemeinen keine politischen Rechte zustanden, die auf irgend eine Art den Gang des Gouvernements zu modifizieren geeignet gewesen seien.
Im allgemeinen hatte nämlich 1816 niemand die Befugnis, sich in irgendeiner Art besondere Ansprüche auf eine Amtsstelle beizulegen, so wie auch ferner niemand an der Landstandschaft teilzunehmen hatte, der nicht - abgesehen von Ritterschaft und Prälaten - Mitglied der Magistrate landtagsfähiger Städte oder aber Ortsschultheiß war. Letztere hatten die Beamten nach ihrem Ermessen zu bestellen und die Magistrate wurden durch Cooptation der Mitglieder ergänzt. So gab denn die durch die Verordnung von 1816 den Juden erteilte Befugnis, Gewerbe und Ackerbau zu betreiben, an und für sich keine politische Stellung im Staate, allein wenn auch im allgemeinen jeder Untertan eine Staatsstelle erhalten oder in jene kommunale Funktionen eintreten konnte, so existierte doch ein 1816 noch nicht offiziell aufgehobenes Hindernis für die Juden, um in den fraglichen Beziehungen gleiche Hoffnungen wie andere Untertanen hegen zu dürfen. Sie mußten nämlich als von allen öffentlichen Ämtern, auch den obengenannten, deshalb an und für sich ausgeschlossen betrachtet werden, weil durch die Religions-Assekurationsakte vom 28. Oktober 1754 und den Landtagsabschied vom 11. Januar 1755 das protestantische Glaubensbekenntnis für ein Erfordernis zur Bekleidung von Staatsstellen erklärt worden war. Gab es zwar seit 1813 einige Abweichungen von dieser Regel, so war solche doch nirgends zurückgenommen, und man konnte sich daher auf eine allgemeine Gleichstellung mit den übrigen Untertanen nicht berufen, um daraus herzuleiten, daß diese gleichgestellte Klasse nun für ebenso berechtigt anzunehmen sei wie die für besonders und ausschließlich befähigt erklärten.
Die Gleichstellung der Juden mit den übrigen Untertanen bedeutete daher nicht so viel, daß für jene auch nun die Fähigkeit, in öffentlichen Beziehungen hervorzutreten, bestehen sollte, welche von den übrigen Untertanen nur besonders des-falls Ausgezeichneten zukam, und so bleibt denn in der Tat von jener Gleichstellung nur dasjenige übrig, was als Folge derselben in dem § 1 der Verordnung ausgesprochen ist, nämlich Wegfallen der besonderen die Juden ausschließlich betreffenden Vorschriften und Zulassung der Juden zu bürgerlichen Nahrungszweigen.
Wenn man die Veränderungen, welche im ganzen Staatsorganismus durch die Verfassungsurkunde hervorgebracht sind, betrachtet, so dürfte die Nachweisung nicht schwierig sein, daß die besonderen Rechte, welche den Untertanen durch diesselbe erteilt sind, auf die Juden nicht bezogen werden können.
Die Verfügung des § 22 der Verfassungsurkunde kommt hier hauptsächlich in Betracht, welche enthält, daß ein jeder Staatsangehöriger der Regel nach auch Staatsbürger, somit zu öffentlichen Ämtern und zur Teilnahme an der Volksvertretung befähigt sei. Dieser neue Grundsatz würde, wenn keine weitere Bestimmung in der Verfassungsurkunde sich fände, auch die Juden mit umfassen, allein der weiter folgende § 29 zeigt, daß sich derselbe auf die Juden nicht bezieht. In diesem Paragraph wird zunächst der vorhin bestandene Unterschied hinsichtlich der Fähigkeit zu öffentlichen Ämtern aufgehoben und den Bekennern jedes christlichen Kirchendogmas der Genuß der staatsbürgerlichen Rechte in der Weise zugesichert, daß die Verschiedenheit der Bekenntnisse keinen Einfluß auf den Genuß jener Rechte haben soll.
Wenn nun darauf die weitergegebene Bestimmung folgt, daß die den Israeliten bereits zustehenden Rechte unter den Schutz der Verfassung gestellt sein sollen, so kann dies, wenn man die oben dargestellte Beschaffenheit der den Israeliten eingeräumlen Rechte erwägt, nur den Sinn haben, daß diese Rechte nicht auf sonst zulässige Weise sollen entzogen werden, anderenteils aber auch nicht in der für die Untertanen im Allgemeinen geschehenen Normierung des persönlichen Rechtszustandes enthalten sein sollen.
Die Israeliten hatten vorhin im Vergleich zu anderen Untertanen keine besonderen, diesen nicht auch zustehenden Rechte, sie waren im Gegenteil im Durchschnitt weniger berechtigt und so erscheint denn das Verhältnis, welches durch die Verordnung von 1816 [entstand], nur im Vergleich zu dem früheren Zustande, worin die Juden sich befanden, als Rechte verleihend.
Enthalten zwar auch die §§ 49 und 50 Zusicherungen des Schutzes der Verfassung für besondere Rechte, woraus ein Zweifel gegen eine Interpretation entnommen werden könnte, so verschwindet ein solcher doch, wenn man erwägt, daß es sich in diesen Paragraphen von Vorrechten im Vergleich zu anderen Untertanen handelt, während die Juden nur das Recht teilweiser Gleichstellung mit Beibehaltung teilweiser Beschränkung respektive Zurücksetzung gegen andere Untertanen für sich anführen können.
Es ergibt sich auch von der Seite die Richtigkeit dieser Auslegung, daß, wenn der § 22 der Verfassungsurkunde die Juden mit umfassen sollte, von bereits zustehenden, unter den Schutz der Verfassungsurkunde zu stellenden Rechten gar keine Rede hätte sein können, weil jedes besondere Rechtsverhältnis der Israeliten mit Ausnahme der die Nothändler betreffenden Ausschließung aufgehört haben würde. Außerdem verleiht der erwähnte § 22 nur "der Regel nach" allen Untertanen staatsbürgerliche Rechte, so daß in demselben keine Nötigung liegt, diese Verleihung als absolut allgemein und keine Klasse der Untertanen davon ausgenommen zu betrachten.
Das zu entwerfende Gesetz muß sich nun ohne Zweifel an die Bestimmungen der Verfassungsurkunde anschließen, es soll nur eine Vollziehung derselben sein und erscheint nur dann als verfassungsmäßig, wenn es dasjenige ausspricht, was die Verfassungsurkunde wollte. Es kann dasselbe mithin nur eine Ausdehnung der Verordnung vom 14. Mai 1816 auf alle Landesteile zulässigerweise enthalten.
Der Rechtszustand, welchen ein Teil der Israeliten erworben hatte, ist durch die Verfassungsurkunde in der Art gesichert, daß eine Verringerung der Befugnisse, welche dadurch gegeben sind, im Wege der gewöhnlichen Gesetzgebung nicht eintreten kann, allein auch nur diese Befugnisse und keine weiteren will die Verfassungsurkunde allen Israeliten des Kurstaates erteilt wissen. Es folgt hieraus, daß denselben keine Teilnahme an der Volksvertretung gebührt, sie auch zu Staatsämtern nicht für befähigt gehalten werden können. In jener Hinsicht ist noch zu bemerken, daß, wenn man ihre Befähigung zur Teilnahme an der Volksvertretung annimmt, man auch die Möglichkeit einräumen muß, mag dieser Möglichkeit viel oder wenig Wahrscheinlichkeit zur Seite stehen, daß dieselben zu Abgeordneten gewählt werden können. Auch daß solche in großer Zahl dazu erwählt werden könnten, ist als rechtlich möglich zu denken, und es muß auch die Folge eines solchen Ereignisses alsdann ins Auge gefasst werden, wenn es sich von dauernder Gründung einer Staatseinrichtung handelt. Unsere Staatsverfassung hat sich nun von der christlichen Grundlage nicht so weit entfernt, daß nicht darin eine nur Christen zukommende Funktion den Landständen für einen, wenn auch seltenen Fall, vorbehalten wäre.
Es ist dies die im § 134 der Verfassungsurkunde den Landständen zugewiesene Einrichtung des Gebrauchs des dem Landesherrn zu-stehenden Rechts der unmittelbaren Ausübung der Kirchengewalt über die evangelischen Glaubensparteien, wenn der Landesherr zu einer anderen als evangelischen Kirche übergeht. Daß hierüber Juden nicht urteilen dürfen, ist klar, und daß somit auch eine Einrichtung rechtlich nicht möglich sein kann, welche Juden zu desfallsigen Urteilern in Oberzahl den Landständen beigesellen können.
Was hiernach an dem Gesetze verändert werden muß, ergibt sich von selbst.
Allein auch der weitere, die Ehe zwischen Christen und Juden als gesetzlich zulässig aussprechende Satz kann wohl nicht bleiben, weil eines Teils der Staat ein christlicher ist und sich, wie schon gesagt, in seiner durch die Verfassungsurkunde bewirkten Einrichtung von dieser Grundlage nicht entfernt hat, wie vorhin erwähnt und gezeigt wurde, und anderen Teils der Staat in seinen Gesetzen nicht Erscheinungen möglich machen darf, welche den einzelnen folgeweise in die kränkendste Lage versetzen, Juden in seiner Verwandtschaft haben zu müssen, wovor im Gegenteil ein Schutz in den Gesetzen bereitet sein muß.
Daß die christliche Grundlage in der Verfassungsurkunde sich findet, lehrt der zehnte Abschnitt derselben ganz unzweideutig, indem man es für nötig gehalten hat, darin, also in die Staatsverfassungsbestimmungen, Vorschriften aufzunehmen, welche besondere Verhältnisse der christlichen Kirche betreffen. Mit dieser christlichen Grundlage der Staatsverfassung steht der § 7 des Entwurfs geradehin im Widerspruch, indem die Bestimmung:
"Die Ehen zwischen Christen und Israeliten werden von Seiten des Staates nicht gehindert,"
einen Gegensatz dahin stillschweigend sanktioniert, daß der Staat etwas als rechtsbeständig behandeln wolle, was daneben als dem Widerspruche von Seiten der Kirche ausgesetzt, angenommen wird.
Es berührt dieser Punkt insbesondere noch das weite Feld der hohlen Ideen über den Staat, vor welchen viele das Leben, wie es ist, nicht zu erblicken vermögen. Ich werde die Auseinandersetzung und Widerlegung jener Ideen hier nicht nötig haben und voraussetzen dürfen, daß es eigentlich den Absichten Euer Hoheit völlig entspricht, wenn das Bisherige beibehalten und zur Eingehung einer Ehe zwischen Christen und Juden keine Dispensation erteilt wird.
Was die oben berührte andere Seite des Rechtszustandes der Israeliten betrifft, so scheint mir in dem Gesetzentwurf, von dem ich einen mit den ständischen Abweichungen versehenen Abdruck hierneben untertänigst beifüge, nur die Abänderung nötig, daß die Erteilung der vollen staatsbürgerlichen Rechte herausgelassen und eine Dispensationsbefugnis hinsichtlich der Zulassung zu Staatsämtern eingeführt wird.
Indem ich die weitere Erwägung dieser Sache, wobei es wieder in Frage steht, ob den modernen Ideen eine neue Konzession gemacht oder ein Rest wohlerwogener Anordnungen früherer Zeiten beibehalten werden soll, den weisen Absichten Euer Hoheit in tiefster Ehrfurcht anheimstelle, habe ich die Gnade zu verharren
als Euer Hoheit untertänigster, treugehorsamster, pflichtschuldigster
[gez. Unterschrift]
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