Dokument 69: „STAND=RISS DES WOLLMANUFAKTURHAUSES
[... zu Kassel am Wesertor], gefertigt von Kommerzienrat Johann Heinrich Scharff, 1775 November.
Bestand Karten P II Nr. 9400/1.
STAND-RISS DES WOLLMANUFAKTURHAUSES | |
| [... zu Kassel am Wesertor], gefertigt von Kommerzienrat Johann Heinrich Scharff, 1775 November. Karten P II Nr. 9400/1. Lit.: O. Dascher [wie Nr. 65], S. 58-60 und 188 f. |
Das Wollgewerbe, die Tuchmacherei, war traditionell das wichtigste Gewerbe in Nordhessen. Ihr Zentrum war im 17. und 18. Jahrhundert das Städtedreieck Kassel-Eschwege-Hersfeld. Neben den in Zünften organisierten Meisterbetrieben gab es seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert auch einzelne Manufakturen, die aufgrund fürstlicher Privilegien in einem festgelegten Umfang ohne Zunftbindung produzieren durften.
Eine solche Manufaktur zur Herstellung von Feintuchen für Offiziersuniformen regte Landgraf Friedrich II. 1764 an. Sie sollte die Importe ersetzen und fügt sich so in den Rahmen einer spätmerkantilistischen Wirtschaftsförderungspolitik. Mit 5000 Taler aus der Kabinettskasse wurde 1765 die „Feine spanische Tuch-Fabrique“ als Staatsbetrieb unter unmittelbarer Aufsicht des Kommerzienkollegs mit Aachener und Warendorfer Fachkräften und importierten Geräten im sogenannten Jägerhaus in der Kasseler Unterneustadt gegründet. Die Wolle wurde über Holland aus Spanien bezogen.
Mangelnder wirtschaftlicher Erfolg - bis 1773 hatte die Kabinettskasse 18.658 Taler zugeschossen - veranlaßte den Staat, einen kaufmännisch erfahrenen Unternehmer zu suchen. 1775 wurde der Göttinger Johann Henrich Scharff besoldeter Manufakturdirektor mit Gewinnbeteiligung. Scharff, der außerdem eine Manufaktur in Wolfenbüttel betrieb, versprach, seine „geheime Kunststücke in der Färberey und Appretierung“ einzubringen. Nach Durchführung eines großangelegten Bauprogramms (Manufakturhaus, Walkmühle, Appreturwerk, Färberei und Trocken- und Rahmenhauses), Anwerbung und Anlernung weiterer Arbeiter und Anlage eines großen Wollvorrats (1776 für nahezu 10.000 Taler im In- und Ausland eingekauft) wollte er mit der Produktion in großem Stil beginnen.
Der Plan des neuen Manufakturhaus am Wesertor wurde wegen der damit verbundenen Kosten bald wieder fallengelassen. Die ausgestellte Zeichnung gibt also ein Gebäude wieder, das nie errichtet wurde. Auch die anderen Baupläne mußte Scharff reduzieren. Realisiert wurden der Einbau einer Färberei und einer Wasserleitung im Jägerhaus, die Erweiterung des Spinnhauses um einen Flügelbau und die Einrichtung eines Walkgangs in der Unterneustädter Mühle.
Bevor seine Vorbereitungen und seine Walke- und Färbeexperimente beendet waren, brach der amerikanische Krieg aus. Er mußte überstürzt Tuche liefern, die vor seiner Zeit gewebt und von Zunftmeistern appretiert worden waren und nicht den von ihm versprochenen Qualitätsstandard hatten. Als die Montierungskommission sich 1779 weigerte, seine Tuchlieferung abzunehmen, wurde Scharff entlassen und starb verarmt 1781 in Göttingen. Die Manufaktur hatte zwischen 1765 und 1779 über 65.000 Taler verschlungen. Sie wurde 1788 liquidert. G.H.
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