MARBURGER RELIGIONSGESPRÄCH im Oktober 1529
Die dogmatischen Gegensätze in der Abendmahlslehre zwischen Wittenberg, Straßburg und Zürich/Basel standen einem politischen Bündnis der "neugläubigen" Gebiete entgegen. So kam auf Initiative des Landgrafen Philipp von Hessen (1504—67) ein Religionsgespräch in Marburg zustande, das die dogmatischen Gegensätze bereinigen sollte. Zusammengekommen waren u.a. Luther, Melanchthon und Justus Jonas (1499—1555) aus Wittenberg, Zwingli aus Zürich, Johannes Oekolampad (1482—1531) aus Basel, Martin Bucer und Kaspar Hedio (1494—1552) aus Straßburg, Brenz aus Schwäbisch Hall, Andreas Osiander (1498—1552) aus Nürnberg. Nach teilweise heftigen Diskussionen wurden am 3. Oktober die 15 Marburger Artikel gemeinsam verabschiedet; in der Abendmahlsfrage konnte man sich aber über die "praesentia realis", die leibhafte Präsenz Christi in den Elementen, nicht einigen.
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Die 15 Marburger Artikel (3. Oktober 1529)
Auf diese Artikel haben sich die hier Unterschriebenen zu Marburg geeinigt am 3. Oktober 1529.
[1. Von der heiligen Dreifaltigkeit]
Zuerst, daß wir auf beiden Seiten einträchtiglich glauben und halten, daß allein ein einziger, rechter, natürlicher Gott ist, Schöpfer aller Kreaturen, und derselbe Gott einig im Wesen und Natur und dreifaltig in den Personen, nämlich Vater, Sohn, Heiliger Geist etc., ganz wie im Konzil zu Nizäa beschlossen und im nizänischen Symbol in der ganzen christlichen Kirche in der Welt gesungen und gelesen wird.
[2. Vom Sohne Gottes, unserm Herrn Jesus Christus]
Zum anderen glauben wir, daß nicht der Vater noch der Heilige Geist, sondern der Sohn Gottes des Vaters, rechter natürlicher Gott, Mensch geworden ist durch Wirkung des Heiligen Geistes, ohne Zutun des Mannes, geboren von der reinen Jungfrau Maria, leiblich vollkommen mit Leib und Seele wie ein anderer Mensch, doch ohne jegliche Sünde etc. [Hebr 4,15].
[3. Vom Heilswerk Christi]
Zum dritten, daß derselbe Gott und Mariens Sohn Jesus Christus in unzertrennter Person für uns gekreuzigt, gestorben und begraben, auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, Herr über alle Kreaturen, kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten etc. [Apostolisches Glaubensbekenntnis].
[4. Von der Erbsünde]
Zum vierten glauben wir, daß die Erbsünde uns von Adam angeboren und ererbt ist, und zwar so, daß sie alle Menschen verdammt. Wenn uns Jesus Christus nicht zu Hilfe gekommen wäre mit seinem Tod und Leben, hätten wir ewiglich dran sterben müssen und nicht zu Gottes Reich und Seligkeit kommen können.
[5. Von der Erlösung]
Zum fünften glauben wir, daß wir von solcher Sünde und allen anderen Sünden samt dem ewigen Tode erlöst werden, wenn wir an den Sohn Gottes Jesus Christus glauben, der für uns gestorben ist, und außer solchem Glauben durch keine Werke, Stand oder Orden von irgendeiner Sünde los werden können etc.
[6. Vom Glauben]
Zum sechsten, daß solcher Glaube eine Gabe Gottes sei, den wir mit keinem vor-hergehenden Werk oder Verdienst erwerben, noch aus eigener Kraft schaffen können, sondern der Heilige Geist gibt und schafft, wo er will, denselben in unseren Herzen, wenn wir das Evangelium oder Wort Christi hören.
[7. Von christlicher Gerechtigkeit]
Zum siebenten, daß solcher Glaube unsere Gerechtigkeit vor Gott ist, um welches willen uns Gott als gerecht, fromm und heilig erachtet, ohne alle Werke und Verdienste, und dadurch von Sünden, Tod und Hölle hilft, zu Gnaden annimmt und selig macht um seines Sohnes willen, an den wir so glauben und dadurch seines Sohnes Gerechtigkeit, Leben und alle Güter genießen und ihrer teilhaftig werden. Darum wird gänzlich abgelehnt, daß Klosterleben und Gelübde zur Gerechtigkeit nützlich seien.
8. Vom äußerlichen Wort
Zum achten, daß der Heilige Geist niemandem solchen Glauben oder seine Gabe ohne vorhergehende Predigt oder mündliches Wort oder das Evangelium Christi gibt, sondern durch und mit solchem mündlichen Wort wirkt und schafft er den Glauben, wo und in wem er will, Röm 10[,17].
9. Von der Taufe
Zum neunten, daß die heilige Taufe ein Sakrament sei, das zu solchem Glauben von Gott eingesetzt ist. Und weil Gottes Gebot »Gehet hin in alle Welt« [Mt 28,19] und Gottes Verheißung »Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden« [Mk 16,16] darin ist, so ist es nicht ein leeres Zeichen oder eine Losung unter den Christen, sondern ein Zeichen und Werk Gottes, in dem unser Glaube gefordert wird, durch welchen wir zum Leben wiedergeboren werden.
10. Von guten Werken
Zum zehnten, daß solcher Glaube durch Wirkung des Heiligen Geistes danach, wenn wir dadurch gerecht und heilig erachtet und geworden sind, gute Werke übe, nämlich die Liebe gegen den Nächsten, das Beten zu Gott und das Erleiden von allerlei Verfolgung.
11. Von der Beichte
Zum elften, daß die Beichte oder das Suchen nach Rat bei seinem Pfarrer oder Nächsten ungezwungen und frei sein soll, aber doch den betrübten, angefochtenen oder mit Sünden beladenen und in Irrtum gefallenen Gewissen sehr nützlich ist, am meisten um des Trostes des Evangeliums willen, welches die rechte Absolution ist.
12. Von der Obrigkeit
Zum zwölften, daß alle Obrigkeit und weltliche Gesetze, Gerichte und Ordnungen ein rechter, guter Stand sind und nicht verboten, wie einige Papisten und Wiedertäufer lehren und halten, sondern daß ein Christ, der dazu berufen oder geboren ist, sehr wohl durch den Glauben Christi selig werden kann, gleichwie im Vater-und Mutterstand, Stand des Herrn und der Frau etc.
[13. Von menschlicher Ordnung]
Zum dreizehnten, daß man die Tradition als eine menschliche Ordnung in geistlichen oder kirchlichen Dingen erachtet ; falls die nicht einem klaren Gotteswort widersprechen, mag man [sie] freigeben oder -lassen, je nachdem wie die Leute sind, mit denen wir umgehen, um überall unnötiges Ärgernis zu verhüten und durch die Liebe den Schwachen und dem allgemeinen Frieden zu dienen. Auch daß die Lehre, die die Priesterehe verbietet, eine Teufelslehre ist [1Tim 4,1.3].
[14. Von der Kindertaufe]
Zum vierzehnten, daß die Kindertaufe recht sei und sie [die Kinder] dadurch in Gottes Gnade und in die Christenheit aufgenommen werden.
15. Vom Sakrament des Leibes und Blutes Christi
Zum fünfzehnten glauben und halten wir alle von dem Nachtmahl unseres lieben Herrn Jesus Christus, daß man nach der Einsetzung Christi beide Gestalten gebrauchen soll; daß auch die Messe kein Werk ist, mit dem einer für den anderen, tot oder lebendig, Gnade erlange; daß auch das Sakrament des Altars ein Sakrament des wahren Leibes und Blutes jedem Christen vonnöten ist; desgleichen der Gebrauch des Sakramentes wie das Wort vom allmächtigen Gott gegeben und verordnet ist, um damit die schwachen Gewissen durch den Heiligen Geist zum Glauben zu bewegen. Da wir uns aber zu dieser Zeit nicht geeinigt haben, ob der wahre Leib und das wahre Blut Christi leiblich in Brot und Wein seien, so soll doch ein Teil dem anderen gegenüber christliche Liebe, sofern eines jeden Gewissen es immer ertragen kann, erzeigen, und beide Teile den allmächtigen Gott fleißig bitten, daß er uns durch seinen Geist das rechte Verständnis bestätigen wolle. Amen.
Martinus Luther, Justus Jonas, Philippus Melanchthon, Andreas Osiander, Stefanus Agricola, Johannes Brentius, Johannes Oekolampadius, Huldrychus Zwinglius, Martinus Bucerus, Caspar Hedio.
Quelle: G. May (Hg.), Das Marburger Religionsgespräch 1529, TKTG 13, 1970, S. 67—70; übers. nach: R. Stupperich (Hg.), Das Bekenntnis der Reformation, KGQ 16, 1966, S. 40—43. —
Literatur: S. Hausammann, Die Marburger Artikel — eine echte Konkordie?, ZKG 77, 1966, S. 288—321; G. W. Locher, Die Zwinglische Reformation, S. 319ff.; s. auch Nr. 79.
Transskription nach: Heiko A. Oberman, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. III Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 4. Aufl. Neukirchen-Vluyn 1994, S. 159-161
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