Martin Luther an Robert Barnes über Heinrich VIII. und dessen mögliche Scheidung von Katharina von Aragón, 1531
"Wittenberg, 3. oder 5. September 1531
An D. Robert Barnes.
[...]
Gnade und Frieden in Christo! Ueber die Sache des Königs von England ist meine Meinung die, welche du mündlich gehört hast, mein lieber Antonius, da wir über diese Angelegenheit vertraulich disputirten, nämlich daß mir die Entscheidung der Löwener vor allem am meisten gefällt, welche das Gegenteil urtheilen, und der König kann derselben mit ganz sicherem Gewissen folgen, ja, muß ihr folgen, wenn er vor Gott sicher sein will, das heißt, er kann auf seine Weise die Königin, die Frau des verstorbenen Bruders, die er geheirathet hat, verstoßen, und durch dies Verstoßen sowohl die Mutter als auch die Tochter zu einer blutschänderischen machen. Denn jetzt disputire ich nicht darüber, was die Dispensation des Papstes, die Frau des verstorbenen Bruders zu nehmen, werth sei, sondern ich sage dies: Es mag immerhin sein, daß der König durch das Nehmen der Frau des verstorbenen Bruders gesündigt habe: dennoch wird es eine weit greulichere und größere Sünde sein, die Geheirathete zu verstoßen und die Ehe in so grausamer Weise aufzulösen, daß sowohl der König als auch selbst die Königin und die Prinzessin immerdar unter der Schmach der Blutschande stehen müssen, obwohl in der That keine Ursache vorhanden ist, warum er sie mit dieser erschecklichen Anschuldigung schänden wollte, und über das auch noch die Ehe auflösen. Diese beiden überaus großen Sünden sind so groß, daß auf Eine geringere Sünde, vornehmlich die vergangen und bereits vergeben ist, und in Wahrheit keine Sünde mehr, durchaus keine Rücksicht zu nehmen ist. Denn die eheliche Verbindung des Mannes und des Weibes ist göttliches und natürliches Rechtes. Aber das Verbot, das Weib des verstorbenen Bruders zu nehmen, gehört zum gegebenen (positivi), nicht zum göttlichen Rechte, es sei denn, daß man vorwenden wolle, daß alle Rechte göttlich seien, weil Gott alle Rechte gutgeheißen habe. Deshalb quälen diejenigen das Gewissen des Königs vergeblich, welche ihn zur Verstoßung auffordern, ja, sie versündigen sich aufs Schwerste wider das göttliche Gesetz.
Daß sie aber anführen, es sei wider das göttliche Recht, die Frau des verstorbenen Bruders zu heirathen, nämlich 3 Mos. 18, 16.: Du sollst deines Bruders Weibes Scham nicht blößen", darauf antworte ich erstlich: Wenn sie dem Mosaischen Gesetze folgen wollen und uns unter diesen Gesetzgeber stoßen, dann werden sie es dahin bringen, daß der König in diesem Falle gehalten ist, nicht alleine die geheirathete Königin zu behalten, sondern auch, wenn sie noch nicht geheirathet wäre, sie jedenfalls zu nehmen und seinem Bruder Samen zu erwecken da ja der verstorbene Bruder keine Kinder von dieser Frau hinterlassen hat, wie klärlich 5 Mos. 25,5. stehet und Matth. 22, 24. von den Sadducäern vor Christo angeführt wird.
Aber hier sagen sie, das Gesetz 5 Mos. 25 sei ein ceremoniales gewesen, welches dem Gesetze 3 Mos. 18 weichen müsse, das ein sittliches wäre, weil die Dinge, welche Ceremonien betreffen, aufgehört hätten, die, welche die Sitten betreffen (moralia), nicht aufgehört hätten. Wer sieht hier nicht, daß solche Glossenmacher entweder bestochen seien, oder daß diese Dinge von ihnen nicht mit gutem Urtheil noch auch mit irgend einer Lauterkeit gesagt werden? Nämlich so schnell haben sie eine Glosse gefunden, mit der sie das Gesetz 3 Mos. 18 zum Gespött machen könnten; hier wollten sie keine Glosse haben. Daher ist es klar, daß sie sich vorgesetzt haben, nicht mit gutem Urtheil, sondern nach ihrem Willen, das ihnen unbequeme Gesetz zu glossiren.
Sodann, wie wollen sie beweisen, daß das Gesetz 5 Mos. 25 ein ceremoniales sei oder gewesen sei, zumal da sie wollen, daß das Gewissen gewiß gemacht werde? Ist es etwa genug zu sagen: Wir wollen es so, wir sagen so: darum soll es ein ceremoniales sein. Wir sagen dagegen, das Gesetz im 5. Buch Mosis sei ein die Sitten betreffendes (moralem) gewesen, weil es in der That ein dem Gemeinwesen dienendes Gesetz war zur Erhaltung der Familien, zum Behalten der Erbschaften, zur Erlangung von Erben, das heißt, das da gegeben war, um Güter zu erlangen, um das Gemeinwesen zu mehren und zu stärken, gleichwie den Ader bestellen zu dieser oder jener Zeit, auf diese aber oder jene Weise, damit er desto reichlicher Frucht trage, etwas dem Gemeinwesen wahrhaft Dienendes und Sittliches ist, weil durch diese Sitte Güter zuwegegebracht werden sowohl für den Hausstand als auch für das Gemeinwesen. Deshalb mußten die Juden dieses Gesetz nicht weniger halten als irgend ein anderes Gesetz, und der Text zeigt ganz klar an, daß er rede von der Erhaltung der Familien und Erbtheile, welche sicherlich nicht ceremoniale Dinge sind, sondern solche, die das Gemeinwesen und nothwendige sittliche Dinge betreffen.
Und, Lieber, wir wollen annehmen, daß das Gesetz im 5. Buch Mosis ein ceremoniales gewesen sei, wie diese Leute vorwenden, was dient das zur Sache? da nichtsdestoweniger dies feststeht, daß die Juden unter Mose gezwungen waren, dies Gesetz zu halten, gleichwie die Beschneidung und andere Ceremonien. Hier mögen sie uns antworten, wie die Juden das Weib eines verstorbenen Bruder nehmen konnten, wenn es 3 Mos. 18 durch göttliches Recht verboten war. Dass es streiten diese beiden Gesetze wider einander, wenn beide auch von dem verstorbenen Bruder zu verstehen sind. Daher ist offenbar, daß sie die Worte und Personen des Gesetzes nicht recht ansehen.
Wenn sie aber vorgeben wollen, die ceremonialen Dinge seien abgethan, und die sittlichen seien geblieben, deshalb dürfe man das Gesetz im 5. Buch Mosis halten, so steht erstlich noch das fest, daß die Juden beide gehalten haben, wie ich gesagt habe. Deshalb werden diese Leute genöthigt sein, mit Nothwendigkeit zuzugestehen, daß die Juden nicht wider des Gesetz im 3. Buch Mosis gesündigt haben dadurch, daß sie das Gesetz des 5. Buchs Mosis hielten. Darnach müssen die, welche solche Meinung haben, die ceremonialen Dinge seien abgethan, daß sie für uns todbringend seien, und nicht erlaubt, sie zu halten, dafür nicht das entgegenstehende Gesetz im 3. Buch Mosis anführen, sondern die Abschaffung selbst. Nun aber schließen sie aus der Abschaffung und gründen sich darauf, und dennoch ziehen sie das entgegengesetzte Gesetz an als einen Ausspruch Mosis, um ihrer Meinung Glauben zu verschaffen. Aber gerade dadurch geben sie an den Tag, daß sie nicht aus dem Streben nach Wahrheit, sondern aus Gelüsten nach dem Siege solche Spitzfindigkeiten treiben und jene Täuscherei ausüben, welche Aristoteles das Schließen von einer Nicht-Sache auf eine Sache (a non causa ad causam) nennt. Denn unter Mose, wo das Gesetz im 5. Buche Mosis noch nicht abgethan war, konnte weder die Abschaffung Gelegenheit zu einem Beweisgrund geben, noch auch das Gegeneinanderstehen der Gesetze, da beide Gesetze Geltung hatten und gehalten wurden. Daher muß jetzt der Beweisgrund von dem Gegeneinanderstehen viel weniger Geltung haben. Aber wenn es irgend einen Beweisgrund gibt, so soll es das Lehrstück von der der Abschaffung selbst sein, und diese Leute mögen ablassen, noch ferner auf das entgegenstehende Gesetz im 3. Buch Mosis zu bringen. Welche dafürhalten, daß uns ceremoniale Dinge unerlaubt seien, die verstehen durchaus nichts davon, weder was Abschaffung, noch was eine ceremoniale Sache sei. Ceremoniale Dinge sind nach der Abschaffung frei und gleichgültige Dinge (indifferentia), nicht mehr geboten und nothwendig, 1 Cor. 7, 18.: "Ist jemand beschnitten, der zeuge keine Vorhaut", wo er lehrt, daß es auch nicht vonnöten sei, eine Vorhaut zu haben, sonst würden die gläubigen Juden genöthigt sein, die Vorhaut wieder herzustellen. Daher ist die Abschaffung die Befreiung vom Gesetze, nicht aber ein Verbieten, wie St. Hieronymus wider Augustinus irrt. Als, wenn ein König an irgend einem Orte von neuem Gesetze geben wollte, könnte er aus gewissen Ursachen etliche Ceremonien Mosis, die nun abgethan und frei sind, anordnen. Alsdann aber würden diese Ceremonien nicht durch das Ansehen Mosis bindend sein, sondern durch den neuen Befehl des Königs. Deshalb, wenn auch dies Gesetz im 5. Buch Mosis ein ceremoniales wäre und jetzt abgethan, so könnte der König von England dennoch aus billiger Ursache, wie er sie jetzt vor sich hat, wider diese spitzfindigen Leute dasselbe von neuem verordnen, und gebieten, an welchem Orte er wollte, daß ein Bruder das Weib des verstorbenen Bruders heirathen sollte. Alsdann würde dies Gesetz die Unterthanen zwingen völlig zu gehorchen, gleichwie irgendein anderes Gesetz des Königs oder seiner bürgerlichen Herrschaft, Röm. 13,1.: "Jedermann sei unterthan".
Um wieder auf das Gesetz im 3. Buch Mosis zurückzukommen, welches dem Gesetze im 5. Buch Mosis entgegengesetzt ist, wie diese Leute sagen, so gestehen wir zu, daß es einander widerwärtige Gesetzt seien, die aber nicht so glossirt werden müssen, daß eins von beiden gänzlich aufgehoben werde, sondern daß beide erhalten und gehalten werden, weil diese Glosse bei den Juden nicht gegolten hätte, welche beide zu halten gezwungen waren, wiewohl sie dem Scheine nach wider einander waren. Dies aber ist die rechte Glosse, daß das Gesetz im 3. Buch Mosis von der Frau des lebenden Bruders redet, und das Gesetz im 5. Buch Mosis von der Frau des verstorbenen Bruders. So streiten sie nicht wider einander, sondern werden beide gehalten, weil das Gesetz im 3. Buch Mosis schlechthin von dem Bruder redet, aber das im 5. Buch Mosis den verstorbenen ausdrücklich nennt, um anzuzeigen, daß es von einem andern Bruder rede als das 3. Buch Mosis. So straft Johannes der Täufer den Herodes, daß er das Weib seines lebenden Bruders habe, weil Vielweiberei den Herodes nicht tadelnswerth machte, welche allen gestattet war, aber doch in solcher Weise, daß ein Bruder dem noch lebenden Bruder sein Weib nicht mit einem Schein des Rechts oder mit Schmeicheleien abwendig mache sollte, wie sie es mit einem Hause und anderen Dingen leicht thun konnten. Durch dieses Vergehen an der Frau seinen Bruder Philippus war Herodes verbrecherisch.
Auch können die Widersacher, wenngleich sie es wollen, nicht beweisen, daß das 3. Buch Mosis von dem todten Bruder rede, noch können sie eine andere Vereinigung beider Gesetze vorbringen, besonders eine solche, die genugsam sei, ein Gewissen zu stillen. Aber wer ist so ungelehrt, daß er nicht irgendetwas erdichten oder erträumen könnte, um die Gewissen zu beunruhigen?
Auch das ist frevelhaft, daß sie schließen: aus dem Gesetze im 5. Buch Mosis folge, daß gegebenen Falles jemand seine Tochter nehmen könne oder dazu gezwungen würde, als, wenn Athniel, wenn er starb, sein Weib Achsa nachgelassen hätte, die Tochter seines Bruders Caleb, so wäre Caleb gezwungen gewesen, als der Bruder Athniels, seine eigene Tochter zu heirathen. Wer sieht hier nicht das Bestreben, eine üble Sache zu schützen, als ob sie in der That nicht wüßten, daß ein höheres Gesetz ein niedrigeres aufhebt, wie das Gesetz der Beschneidung das Gesetz des Sabbaths verletzt, Joh. 7, 22., wo Christus selbst disputirt, der Mensch werde am Sabbath beschnitten, das heißt, er werde aufgehoben oder wider das Gesetz des Sabbaths ungestraft sündigt, damit nicht wider das Gesetz der Beschneidung gesündigt werde, welches vor dem Gesetz des Sabbaths gewesen und von den Vätern hergekommen war. Was bedarf es vieler Worte? Es ist bekannt, daß ein niedrigerer Gesetzgeber dem höheren Gesetz und Gesetzgeber die Hand nicht schließen kann, sondern ein jegliches Gesetz und [die Gewalt] eines jeglichen Gesetzgebers hält sich in den Schranken der Gewalt, die ihm von Gott gegeben ist, als, ein Familienvater gibt Gesetze für seine Familie und sein Haus, soweit seine Gewalt sich erstreckt. Aber die Obrigkeit oder die Stadt gehorcht seinen Gesetzen nicht, sondern unterwirft ihn den Gesetzen des Gemeinwesens, so daß es vonnöthen ist, daß er mit seinen Gesetzen stillzustehen gezwungen werde, und den gemeinen Gesetzen dienstbar zu sein. So ist der König Herr über das Reich oder die Stadt mit seinen Gesetzen, indem er zwar gestattet, daß sie nach ihren eigenen Gesetzen regiert werden, aber so, daß sie, indem die Gesetze des Königs unverletzt bleiben, dem Könige gehorchen und nicht herrschen über die königlichen Gesetze. So lässt Gott alle Obrigkeiten zu, ja, er billigt es, daß sie ihrer eigenen Gesetze gebrauchen, aber mit Vorbehalt und Ausnahme seines Willens, dem sie mit ihren Gesetzen weichen und gehorchen müssen. So weichen immer die gegebenen Gesetze, wo sie mit dem Gesetze Gottes oder der Natur streiten, eben diesen Gesetzen Gottes oder dem der Natur als dem höheren. Deshalb, da das Gesetz im 5. Buch Mosis ein gegebenes Gesetz ist, und nicht ein Naturgesetz, so muß es, wenn es in irgendeiner Sache wider das Gesetz der Natur verstößt, dem Gesetz der Natur weichen und Raum geben, als das niedrigere dem höheren. Und so auch, wenn es nach dem Gesetze im 5. Buch Mosis den Schein hat, als ob er gezwungen sei, seine Tochter Achsa zum Weibe zu nehmen, so wird er dennoch, weil Achsa nicht bloß as Weib seines Bruders ist (denn die Worte des Gesetzes sind eigentlich und einfach zu nehmen), sondern auch seine Tochter, deshalb durch ein anderes und höheres Gesetz verhindert, ein solches Weib des Bruders zu nehmen, welches für ihn eine Tochter ist, weil das Gesetz der Natur verbietet, die Tochter zu heirathen, wenngleich das gegebene Gesetz befiehlt, das Weib des verstorbenen Bruders zu nehmen. Aber wozu diese weitläuftige Erörterung, mein lieber Antonius, es sei denn, daß du vielleicht künftig mit Leuten zu dusputiren hättest, welche der Gesetze unkundig sind?
Wir wollen zur Sache kommen und sagen: daß Moses todt sei, aber für das jüdische Volk gelebt habe, und daß wir durch seine Gesetze nicht verpflichtet werden. Deshalb wollen wir alles, was von Mose als einem Gesetzgeber [herkommt], nicht zulassen, wenn es nicht auch durch unsere Gesetze, das heißt natürliche und weltliche, gutgeheißen wird, und wollen nicht die Gemeinwesen der ganzen Welt in Verwirrung setzen, sondern die Aufruhre und Störungen aller Gesetze und Ehrbarkeit als ein Gift fliehen. Dieselben mögen seinem Gemeinwesen dienen, wir haben unsere Gesetzgeber in diesen Sache. Deshalb ist dies zu erörtern: wenn durch die Gesetze des Papsts oder des Kaisers die Ehe zwischen einem Bruder und dem Weibe des verstorbenen Bruders verboten wird, ob dann der König von England gehalten sei, die ihm verbotene Königin nicht zu heirathen, und sie, nachdem er sie genommen hat, zu verstoßen. Hier muß geantwortet werden: Durchaus nicht, sondern er soll gehalten sein, sie zu behalten, unter Gefahr der Seligkeit unter ewigen Verdammniß. Dies wird so bewiesen: Erstlich, es steht nicht fest, daß es verboten sei, die Frau des Bruders zu heirathen, weder durch natürliches Recht noch durch göttliches, sondern nur durch ein gegebenes Recht. Denn der Gesetzgeber Moses ist für uns todt und nichts. Denn wir lesen, daß die vor dem Gesetz Mosis und unter dem natürlichen Gesetze lebenden Abraham und Rahor Töchter ihres Bruders geheirathet haben; dieser Grad ist hernach von Mose durch ein gegebenes Gesetz verboten worden. Und Jakob heirathete zwei Schwestern, was hernach Moses gleichfalls verboten hat. Es bleibt daher nur übrig, daß es durch ein menschliches und gegebenes Recht verboten sei, das Weib des verstorbenen Bruders zu heirathen. Aber, wie wir gesagt haben, die Ehe ist göttliches und natürliches Rechtes. Wo nun das göttliche und das gegebene Recht mit einander streiten, muß das gegebene Recht dem göttlichen weichen; deshalb hat auch Christus das Gesetz der Scheidung in Mose aufgehoben, um das göttliche Gesetz der Ehe aufzurichten. Mag daher der König von England dadurch gesündigt haben, daß er das Weib seines verstorbenen Bruders geheirathet hat, mag er gegen das menschliche und bürgerliche Gesetz des Kaisers oder des Papsts gesündigt haben; wenn nun der Kaiser oder der Papst ihm ihre Gesetze nachgelassen haben, so hat er durchaus nichts gesündigt, weil derselbe Gott, der das vom Kaiser gegebene bürgerliche Gesetz gutheißt, auch das Gesetz des Kaisers, welches vom Kaiser nachgelassen ist, gutheißt, weil er ihm die Gewalt gegeben hat, Gesetze zu geben und nachzulassen, und, daß ich so sage, die Binde- und Löseschlussel in dem Lande, welches ihm unterworfen ist. Ebendasselbe sage ich von dem Papste, wo er mit bürgerlicher Gewaltherrschaft regiert; wiewohl er mit seinem Rechte bindet, so hat es doch viel mehr Gültigkeit, wenn er nachlässt, als wenn er bindet. Aber wenn der König die Königin verstoßen wird, wird er mit dem schwersten Vergehen wider das göttliche Gesetz sündigen, welches sagt: "Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden", das heißt, der Mensch soll die nicht scheiden, welche Gott entweder in seiner Ordnung oder durch sein Zulassen verbunden hat, weil sein Zusammenfügen, mag es nun mit Recht oder durch eine menschliche That geschehen, höher ist, als eine menschliche Ordnung. Wenn daher nun diese beiden Gesetze mit einander streiten, so möge man sich vorsehen, daß nicht der König von England ein menschliches Gesetz halte, so daß er wider das göttliche sündige, sondern damit er das göttliche Gesetz halte, möge ihm nachgelassen werden, wenn etwa wider das menschliche Gesetz eine Sünde begangen wäre. Doch, wie ich gesagt habe, wo der Papst oder der Kaiser (wenn er die Gesetze des Kaisers anerkennt) wohl oder übel dispensirt haben, da ist keine Sünde.
Da hast du, mein lieber Antonius, meine Meinung in deinen Busen ausgeschüttet. Denn ich weiß nicht, ob es nützlich sein daß dieselbe veröffentlicht werde, damit nicht vielleicht meine Name dieser Sache mehr schade, welcher, wie du genugsam weißt, so verhaßt und verabscheut ist, daß, wiewohl ich die Wahrheit sage, diese dennoch aus Haß gegen meinen Namen vedammt wird. Jedoch, damit du mit Freunden über meine Meinung sicher disputiren könnest, will ich zulassen, daß du nach deinem Belieben dieselbe entweder unterdrückest oder veröffentlichst. Ich wünschte in der That, wenn nicht der Haß meines Namens im Wege wäre, daß dieselbe dem Könige und der Königin nützen möchte, damit sie nicht verführt würden, und von den Sophisten zu einer so nichtswürdigen und verruchten Ehescheidung getrieben werden möchten, von der sie, wenn sie geschehen ist, beständiges Elend im Gewissen leiden werden. Aber was auch immer geschehen mag, sei es, daß diese Ehescheidung schon geschehen ist, sei es, daß der König durch das Ansehen anderer Doctoren dazu angetrieben wird, daß er die Ehescheidung vollbringe, so rathe du doch den Freunden ab, allen, denen du nur immer kannst, damit sie diese Ehescheidung verabscheuen. Und wenn die Widersacher den König völlig eingenommen haben sollten, so mögen doch die Unsern mit allem Eifer versuchen, wenigstens die Königin zu erhalten, daß sie auf keine Weise in die Ehescheidung willige, sondern lieber sterbe, als daß sie ihr Gewissen eines so großen Vergehens vor Gott schuldig mache, sondern ganz fest glaube, daß sie die rechte und gesetzmäßige Königin Englands sei, von Gott selbst dazu gemacht und gebilligt. Denn es darf nicht zugelassen werden, daß sie sich mit einer falschen Anschuldigung beschwere, eine so große Sünde glaube, welche keine Sünde ist. Denn das hieße in irrendem Gewissen die Lüge fürchten und anstatt Gottes anbeten. Denn wenn sie den König nicht retten können, daß sie, wenn die Ehescheidung nicht verhindert werden kann, dies große Uebel des größten Unrechts als ihr Kreuz trage, aber keineswegs billige oder einwillige. Ich, der ich nichts Anderes vermag, wende mich im Gebet zu Gott, daß Christus diese Ehescheidung verhindern möge und die Rathschläge Ahitophels, welcher diesselbe räth, zu nichte machen, oder wenn er sie nicht verhindern will, daß er wenigstens der Königin einen starken Glauben und ein beständiges und sicheres Gewissen gebe, daß sie die gesetzmäßige und rechte Königin von England sei und sein werde, wider den Willen der Pforten der Welt und der Hölle. Du gehab dich in Christo recht wohl. Gegeben zu Wittenberg, den 5. September Anno 1531.
Dein Martin Luther."
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.