Heinrich VIII., Aufruf zur Beendigung der theologischen Zwietracht vor dem Englischen Parlament, 1545
"Nun, da ich bei Euch solche Liebe zu mir vorfinde, kann ich nicht anders, als Euch auch meine Liebe und Güte zuzuwenden, mit der Beteuerung, daß in der ganzen Welt kein Herrscher seinen Untertanen besser geneigt ist als ich, ebenso wie keine Untertanen ihren Herrn besser lieben und ihm gehorsamer sind als Ihr. Für Euren Schutz soll mein Schatz nie versteckt sein, noch würde mein eigener Körper dem Wagnis entzogen werden, wenn es dazu käme.
Doch obwohl wir miteinander so in vollkommener Liebe und Eintracht leben, kann dieses gute Verhältnis nicht andauern, wenn Ihr, meine Herren vom weltlichen Stand, und Ihr, meine Herren der Geistlichkeit, und Ihr, meine treuen Untertanen, Euch nicht bemüht, das einzige, das nicht in Ordnung ist, zu verbessern, wozu ich Euch von Herzen auffordere: ich meine die gute Nächstenliebe, die bei Euch fehlt, denn Zwiespalt und Meinungsverschiedenheit herrschen überall. Der heilige Paulus sagt zu den Korinthern, im 13. Kapitel: »Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen« [1Kor 13,4] . . . Seht also, welche Liebe da bei Euch tätig ist, wenn die einen die anderen »Ketzer und Wiedertäufer« heißen, und die anderen darauf mit »Papisten, Heuchlern und Pharisäern« antworten. Sind dies die Zeichen der Liebe? Sind dies die Merkmale brüderlicher Freundschaft? Nein, nein, ich versichere Euch: dieser Mangel an Nächstenliebe wird das gute Verhältnis zwischen uns verhindern und verringern, es sei denn, dies wäre heil gemacht. Leider muß ich feststellen, daß Ihr an diesem Zwiespalt schuld seid, Ihr Priester und Prediger aus dem Klerus. Wenn ich nämlich weiß, ein Mann treibt Ehebruch, muß ich ihn notwendigerweise für einen fleischlich gesinnten Menschen halten; höre ich von einem, der prahlt und sich hochspielt, so muß ich schließen, er ist hochmütig. Und täglich sehe und höre ich, wie Ihr von der Geistlichkeit gegeneinander predigt - Ihr schimpft aufeinander ohne Milde oder Besonnenheit. Manche halten zu steif an ihrem alten »mumpsimus« fest; manche wieder treiben zu kräftig hinter dem neuen »sumpsimus« her. Und so leben fast alle [Priester und Prediger] in Verschiedenheit und Widerspruch, und wenige nur predigen Gottes Wort wahr und treu, wie sie es tun sollten. Kann ich Euch also als liebend beurteilen? Nein, nein, das kann ich nicht. Weh uns, wie können die armen Seelen in der Einigkeit leben, wenn Ihr Geistlichen in Euren Predigten Zwietracht sät! Von Euch suchen sie das Licht und Ihr liefert ihnen die Dunkelheit. Verlaßt diese Abwege, so fordere ich Euch auf; zeigt an das Wort Gottes, sowohl in guter Predigt als auch im guten Beispiel, sonst werde ich, den Gott zu seinem Stellvertreter hier ernannt hat, dafür sorgen, daß diese Spaltungen beendigt und diese Verbrechen bestraft werden, wie es meine Pflicht ist. Sonst wäre ich ein unnützer Diener und falscher Amtsträger."1
_____________________________________________________________________________________________________________________________
1 Oberman, Heiko A. Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Band 3: Die Kirche im Zeitalter der Reformation. Neukirchen-Vluyn, 1994, S. 261f.
Anfragen zu Reproduktionen in hoher Auflösung und druckfähige Vorlagen erhalten Sie von der unter Bestand/Sign. genannten Einrichtung.