Mit dem Aufkommen der Nationsidee Ende des 18. Jahrhunderts und mit der raschen Ausbreitung nationalen Gedankenguts im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts bis hin zur Formierung nationalistischer Strömungen im Kaiserreich war immer die Frage verbunden, wer genau zu einer Nation dazu gehöre und wie sich eine Nation gegenüber Nichtangehörigen zu verhalten habe. Meist wurde diese Frage nicht mit Toleranz des Anderen bzw. der nicht dazu gehörigen Minderheit beantwortet, sondern vielmehr mit Ausgrenzung und Diffamierung, was vor allem die Juden immer wieder erleben mussten. Dass einer relativ großen religiösen Minderheit in einem weitgehend christlich geprägten Kultur auch gewisse Grundrechte zustehen, war im 19. Jahrhundert keineswegs Konsens. Über den Ort der jüdischen Minderheit im deutschen Volk wurde heftig diskutiert. Nicht wenige Zeitgenossen plädierten im 19. Jahrhundert für eine totale Angleichung der Juden an die deutsche Kultur ohne Rücksicht auf deren kulturelle Eigenheiten.
Auch das Paulskirchenparlament beschäftigte sich mit dieser Frage. Der fraktionslose Abgeordnete Justin von Linde versuchte in einer Rede die Frage zu beantworten, ob die Juden eine eigene Nation sein.
„Den einzigen staatsrechtlichen Grundsatz, der bezüglich der jüdischen Konfession zur Sprache kam, nämlich der: ob die Juden in Deutschland eine besondere Nation darstellen oder nicht? muss ich beantworten mit Nein. Denn es gehört zur Nationalität nicht nur ein Volk, welches seine Sprache fortspricht die es früher gesprochen hat; sondern es gehört noch eine weitere Reihe von Bedingungen dazu, Grund und Boden, ein eigenes Land, und das hat das jüdische Volk nicht, also es repräsentiert im deutschen Volke keine Nationalität, sondern nur eine Secte, was daraus folgt, daß, wenn ein Jude von dem Judentum zu einer anderen Confession übertritt, alle diese Schranken fortfallen, was sonst nicht möglich wäre, wenn diese Schranken durch die Nationalität geboten wären.“
Aus: Von Linde, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung, hrsg. von Franz Wigard, Bd. 3, Frankfurt 1848, S. 1754 – 1757; zitiert nach: http://www.gabrielriesser.de/frameset_intro_02.html
Arbeitsaufträge:
1. Versuchen Sie Lindes Nationsbegriff zu definieren.
2. Diskutieren Sie die sozialen und kulturellen Spannungen, die aus der Nationsidee vor allem hinsichtlich Toleranz und Minderheitenschutz entspringen können. Versuchen Sie auch aktuelle Bezüge herzustellen.
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