In diesem Auszug aus einer Rede in der Nationalversammlung nimmt der jüdische Abgeordnete Riesser leidenschaftlich zur Forderung seines Vorredners Mohl nach einer weiteren Ausgrenzung der Juden Stellung. Riesser wurde 1806 in Hamburg als Sohn traditionelle gläubiger jüdischer Eltern geboren. Er promovierte 1826 an der Universität Heidelberg in Rechtswissenschaften, konnte aber trotz seiner hervorragenden Leistungen keine höheren Positionen im Staatsdienst einnehmen, da dies den Juden zu diesem Zeitpunkt weitestgehend verwehrt blieb. Riesser, selbst ein Opfer jüdischer Ausgrenzung im Vormärz, kämpfte fortan publizistisch für die Emanzipation der Juden. Während der Revolution 1848/49 wurde Riesser als Abgeordneter des Herzogtums Lauenburg ins Paulskirchenparlament gewählt und avancierte dort sehr bald zu einem sehr prominenten Redner und Verfechter der bürgerlichen Freiheitsrechte. Dass er unter den Abgeordneten hohes Ansehen genoss, zeigt seine Wahl zum Parlamentsvizepräsidenten im Oktober 1848. Einige Monate später war er Mitglied der Delegation, die Friedrich Wilhelm IV. von Preußen ohne Erfolg die Krone anbot.
Gabriel Riesser ist ein Beispiel dafür, wie in den Jahren 1848/49 zahlreiche jüdische Liberale an der Gestaltung der Revolution und an der Durchsetzung einer konstitutionellen Monarchie in prominenter Weise mitwirkten. Sie trugen damit selbst dazu bei, die Emanzipation Stück für Stück erkämpft zu erkämpfen, obwohl noch knapp zwei Jahrzehnte vergehen mussten, bis in einem Gleichstellungsgesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869 die volle rechtliche Gleichstellung der Juden erreicht wurde.
„Meine Herren! (...) Ich nehme das Recht in Anspruch, vor Ihnen aufzutreten im Namen einer seit Jahrtausenden unterdrückten Klasse, der ich angehöre durch Geburt, und der ich – denn die persönliche Überzeugung gehört nicht hierher – ferner angehöre durch das Prinzip der Ehre, das es mich hat verschmähen lassen, durch einen Religionswechsel schnöde versagte Rechte zu erwerben (Bravo!) Im Namen dieser unterdrückten Volksklasse gegen gehässige Schmähungen vor Ihnen das Wort zu ergreifen, dieses Recht nehme ich in Anspruch (Stimmen: Sehr gut!) Der geehrte Vorredner hat seinen Antrag in eine Unwahrheit gefasst: Er will nämlich den israelitischen Volksstamm durch Ausnahmsgesetze von dem für alle gleichen Rechte ausgeschlossen haben. Sie haben nun durch einen feierlichen Beschluss (im Juli 1848 die Sorben) den nicht deutschredenden Volksstämmen, die in Deutschland leben, Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichheit der Rechte, Gleichheit alles Dessen, was den Deutschen Deutschland teuer macht, zugesichert. Sollen wir Juden es für unser Unglück erachten, daß wir deutsch reden? Sollen wir darum schlechter behandelt, soll die Freiheit uns vorenthalten werden dürfen, weil wir nicht in die Kategorie nicht deutsch redender Volksstämme gehören?“
(Riesser erinnert an die Kämpfe der Deutschen gegen die Slawen, zu denen die Sorben gehören, und setzt von diesen die Juden als „schwache Religionspartei“ dagegen ab.)
Können Sie „einer Klasse, die keine Nationalität haben will, die ihnen von ihren Feinden aufgebürdet wird, die deutsch denkt und fühlt, mit Misshandlungen entgegentreten, und zu ihrem Nachteil Ausnahmsgesetze bestehen lassen, während sie andererseits alle Ausnahmsgesetze vernichten, und dem gleichen Recht, dem gleichen Gesetz anheim stellen, alle Schäden der Gesellschaft zu heilen?“
(Riesser weist auf Petitionen und Beschlüsse von Provinzparlamenten für die Gleichstellung der Juden in Preußen hin.)
„Die Handlungen, die den Juden verboten werden, müssen auch dem Christen verboten sein. Was volksverderblich und volkswirtschaftlich nachteilig sein soll, müssen sie in ein Gesetz bringen, das von dem religiösen Bekenntnis unabhängig ist. Sie müssen den Trödelhandel und die Geschäfte mit dem Landmann, die sie für nachteilig halten, verbieten oder eigentlich den Landmann für unmündig erklären. (...)
Ich selbst habe unter den Verhältnissen der tiefsten Bedrückung gelebt, und ich hätte bis vor kurzem in meiner Vaterstadt nicht das Amt eines Nachwächters erhalten können. Ich darf es als ein Werk, ich möchte sagen, als ein Wunder des Rechts und der Freiheit betrachten, dass ich befugt bin, hier die hohe Sache der Gerechtigkeit und Gleichheit zu verteidigen ohne zum Christentum übergegangen zu sein (...) Ich glaube nicht, dass es möglich ist, gleiche Rechte zu geben für aktive und passive Wählbarkeit, für das hohe Werk der Gesetzgebung, so lange noch die verletzendsten Ausnahmegesetze in niederen Sphären bestehen. (...)
Die Juden werden immer begeisterte und patriotische Anhänger Deutschlands unter einem gerechten Gesetz werden. Sie werden mit und unter den Deutschen Deutsche werden. (...) Glauben Sie nicht, dass sich Ausnahmegesetze machen lassen, ohne daß das ganze System der Freiheit einen verderblichen Riss erhalten, ohne daß der Keim der Verderbnis in dasselbe gelegt würde. Es ist Ihnen vorgeschlagen, einen Teil des deutschen Volkes der Intoleranz, dem Hasse als Opfer hinzuwerfen; das werden Sie nimmermehr tun, meine Herren.“
Aus: Riesser/Mohl, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung, hrsg. von Franz Wigard, Bd. 3, Frankfurt 1848, S. 1754 – 1757; zitiert nach: http://www.gabrielriesser.de/frameset_intro_02.html
Arbeitsaufträge:
1. Moritz Mohl sieht Juden nicht aus Deutsche an, obwohl sie in Deutschland leben. Wie positioniert sich Riesser dazu?
2. Riessers Widersacher Mohl hat vor allem eine aus seiner Sicht typische jüdische Wirtschaftsweise im Blick, „den Schacherjuden“, die dem deutschen Volk schade. Aus diesem Grund lehnt er die Gleichstellung der Juden ab. Was entgegnet ihm Riesser?
3. Vor welchen Folgen warnt Riesser, wenn sich die Nationalversammlung entscheiden würde, die rechtliche Ausgrenzung der Juden beizubehalten?
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