Die Zeitung „Der Reichsherold“ war das zentrale Presseorgan der antisemitischen Böckel-Bewegung in Kurhessen. Sie wurde von Otto Böckel Anfang 1887 gegründet. Eine Probenummer wurde im Januar 1887 publiziert. Die oben vorliegende, erste reguläre Ausgabe erschien am 4. Februar 1887, einige Wochen vor den Septennats-Wahlen (Wahlen, bei denen der zu wählende Reichstag über das für sieben Jahre gültige Militärbudget abstimmen muss) zum deutschen Reichstag am 21 Februar, bei denen Otto Böckel erstmals als Sieger hervorging. Im Frühjahr 1892 erreichte die Zeitung reichsweit eine Auflagenzahl von 11.000 Exemplaren. Die letzte in Marburg gedruckte Ausgabe erschien am 21. Dezember 1894.
Der Reichsherold, der zu Beginn wöchentlich, später zweimal wöchentlich erschien, richtete sich in erster Linie an die ländlich geprägte Bevölkerung im Umkreis Marburgs. Er diente Böckel als wichtiges Medium zur Erläuterung seiner politisch-programmatischen Vorstellungen. Inhaltlich finden sich dort dieselben Argumentationsfiguren und Narrative wie in den in dieser Zeit erschienenen Broschüren Böckels. Der Reichsherold lieferte in seiner Verbindung von Modernekritik, Antisemitismus und antikonservativen Sozialreformismus leicht zugängliche Deutungsmuster für die Komplexität der damaligen wirtschaftlichen Krisensituation. In verschiedenen Rubriken wurde der „jüdische Wucher“ als die größte Gefahr des bäuerlichen Landlebens angeprangert, „der Jude“ zum Urheber der industriegesellschaftlichen Zerstörung der vormodernen bäuerlichen Harmonie erklärt, und die Bauern zur Gründung von Produktions- und Konsumgenossenschaften aufgefordert, um dem Anpassungsdruck des landwirtschaftlichen Strukturwandels zu entgegnen.
Im Reichsherold finden sich verschiedene Typen von Artikeln. Neben sehr allgemein gehaltenen Berichten über die angeblichen Machenschaften des schädlichen Judentums und tagespolitischen Stellungnahmen zu wichtigen Ereignissen im Kreis Marburg und im Reich, druckte der Reichsherold auch Reichstagsreden von Böckel ab, führte am unteren Rand eine Reihe, in der fiktive, meist antisemitische Geschichten veröffentlicht wurden, und informierte im hinteren Teil der Zeitung die Bauern über praktische Fragen und Probleme der Landwirtschaft. Im Vorfeld von wichtigen Wahlen war der Reichsherold für Böckel ein wichtiges Instrument zum Gewinn von Wählerstimmen.
Arbeitsaufträge:
- Arbeiten Sie anhand des Wahlaufrufs der deutschen Antisemitenpartei die wichtigsten politischen Forderungen des Reichtagskandidaten Otto Böckels heraus.
- Lesen Sie den Artikel „Die Güterschlächterei in Hessen“ und beantworten Sie folgende Fragen: Wie beschreibt Böckel den „Landjuden“ und sein Vorgehen gegen die Bauern? Warum und wodurch sind nach Böckel die „hessischen Bauern gute Antisemiten“ (S. 2)? Was versteht Böckel unter der „Güterschlächterei“? Welches Schreckensszenario malt Böckel letztlich an die Wand, wenn man den Juden nicht Einhalt gebiete?
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