Auszüge aus dem Gutachten:
(…) Die drückende Verfassung, in der die Juden noch gegenwärtig in den meisten Staaten leben, ist ein Überbleibsel der unpolitischen und unmenschlichen Vorurteile der finstersten Jahrhunderte, und aus der unglücklichen Geschichte der Israeliten folgt, wie sie nur deshalb als Menschen und Bürger so verderbt gewesen sind, weil man ihnen die Rechte beider versagt hat. Die Religion der Juden enthält keine dem bürgerlichen Verein mit andern Religionsverwandten widersprechende Grundsätze, ihre göttlichen Gebote stimmen mit den Geboten der Gerechtigkeit und Menschenliebe überein, und, auch ohne der Meinung dieses hohen Ursprungs des mosaischen Gesetzes zu erwähnen, kann man sich leicht davon überzeugen, dass dasselbe die richtigsten Grundsätze der Sittenlehre, der Gerechtigkeit und Ordnung enthalte. (…)
Allein die Meinung, das Verfahren mit den Juden sei eine notwendige Folge ihres Charakters, ruht auf einer unrichtigen Logik, denn die politische Herabwürdigung derselben hat erst ihre sittliche bewirkt, und nun wechselt man die Wirkung mit der Ursache und führt das Übel, welches die bisherige fehlerhafte Politik hervorgebracht hat, zur Rechtfertigung derselben an. Man kann zugeben, dass die Israeliten sittlich verdorbener sind als andere Nationen, dass sie sich einer verhältnismäßig größern Zahl von Vergehen schuldig machen als die Christen, dass ihr Charakter mehr zu Wucher und Hintergehung im Handel gestimmt, ihr Religionsvorurteil trennender und ungeselliger ist, aber dies alles ist eine notwendige Folge der drückenden Verfassung, in welcher diese unglücklichen Menschen leben. (…)
Sind es nun die Einrichtungen in den Staaten, die den Juden den Geist einhauchten, dessen sie gegenwärtig angeklagt werden, ist es die Einschränkung der Gewerbfreiheit, ihrer Tätigkeit, nach welcher sie vom Ackerbau, von Zünften, von der Verteidigung des Vaterlandes ausgeschlossen, nur allein vom Handel, welcher mehr als irgendeine andere Beschäftigung zu Betrug und Hintergehung anreizt, sich zu nähren gezwungen werden, ist diese Verfassung die wahre Quelle ihrer Verdorbenheit, so ist es auch auf der einen Seite ebensosehr Pflicht der Regierungen, dem Unterdrückten nicht weiter die Folgen der Unterdrückung zur Last zu legen, als auf der andern Seite leicht, die Mittel aufzufinden, die Juden zu besseren Menschen und nützlichen Bürgern zu bilden.
Die Mitglieder der Regierung trennen sich in Ansehung ihrer Hauptansicht über den vorliegenden Gegenstand in zwei Teile:
Die erste Meinung geht dahin, den Juden gleiche Rechte mit den übrigen Staatsbürgern zu erteilen, jedoch nur unter gewissen Einschränkungen und Bedingungen.
Die zweite Meinung bezweckt, nur einzelnen, Wohlverdienten, bürgerliche Rechte zu bewilligen.
Bei weitem die Mehrzahl der Mitglieder ist der erstern Meinung zugetan, nur abweichend voneinander in Ansehung einzelner Einschränkungen und Bestimmungen.
Als zweckmäßige Mittel, die Verfassung der Juden zu verbessern, können angeführt werden: Erteilung gleicher Rechte mit allen übrigen Untertanen, vollkommene Freiheit der Beschäftigungen und Mittel des Erwerbs, Gestattung selbst des Ackerbaus, Zulassung zu jeder Kunst und jeder Wissenschaft, selbst zu öffentlichen Ämtern; Sorge für sittliche Bildung und Aufklärung bei den Juden und für die Minderung der Vorurteile und lieblosen Gesinnungen bei den Christen, völlig freie Religionsausübung und Schutz im Besitz ihrer eigenen Gesetze.
Diese Mittel sind in neuern Zeiten von mehreren großen und kleinen Staaten in Europa, selten aber ohne einige Einschränkung angewendet worden. (…)
Der Handel raubt den Sitten ihre Reinheit. Wo der merkantilistische Geist der herrschende ist, das werden alle moralischen Handlungen und Tugenden ein Gegenstand des Handels und die kleinsten Gefälligkeiten, selbst Pflichten der Menschlichkeit, werden um Geld verkauft. Um der nachteiligen Richtung, welcher dieser beinahe ausschließliche Erwerbzweig der Juden ihrer sittlichen Kultur gegeben hat, möglichst bald Einhalt zu tun, wird es nicht hinreichen, ihnen den Weg zu allen übrigen bürgerlichen Beschäftigungen zu öffnen, sondern eine gewisse Leitung hierin wird sicherer zum Ziel führen. Man wird daher suchen müssen, die Juden vorerst von der Beschäftigung des Handels abzuziehen und die Einwirkung desselben dadurch zu schwächen, dass man ihnen Veranlassung gibt, diejenige Art des Erwerbes vorzuziehen, welche am meisten einen entgegengesetzten Geist und Gesinnungen einzuflößen fähig ist. (...)
Zitiert nach der Transskription von Gerhard Hentsch, in: ders., Gewerbeordnung und Emanzipation der Juden im Kurfürstentum Hessen (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen IV), Wiesbaden 1979, S. 123 - 147. (StAM 16 Min.d.Innern, Rep. XIV, Kl.1, Nr.1, vol.1)
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