Erste öffentliche Stellungnahme Adenauers zur Stalin-Note vor dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU in Siegen am 16. März 1952. Zusammenfassende Darstellung der Rede, zit. nach A. Hillgruber, Adenauer und die Stalin-Note vom 10. März 1952, in. D. Blumenwitz u. a. (Hg.), Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers, Bd. 2, Stuttgart 1976, S. 113 f.
"Seien wir uns darüber klar, daß dort (im Osten) der Feind des Christentums sitzt. Hier handelt es sich nicht nur um politische, sondern auch um geistige Gefahren ... Es gibt drei Möglichkeiten für Deutschland. den Anschluß an den Westen, Anschluß an den Osten und Neutralisierung. Die Neutralisierung aber bedeutet für uns die Erklärung zum Niemandsland.
Damit würden wir zum Objekt und wären kein Subjekt mehr. Ein Zusammenschluß mit dem Osten aber kommt für uns wegen der völligen Verschiedenheit der Weltanschauungen nicht in Frage. Ein Zusammenschluß mit dem Westen bedeutet - und das möchte ich nach dem Osten sagen - in keiner Weise ein(en) Druck gegen den Osten, sondern er bedeutet nichts anderes als die Vorbereitung einer friedlichen Neuordnung des Verhältnisses zur Sowjetunion, zur Wiedervereinigung Deutschlands und zur Neuordnung in Osteuropa. Und das sind auch die Ziele unserer Politik."Direkt auf die Stalin-Note eingehend, meinte er: "Im Grunde genommen bringt sie wenig Neues. Abgesehen von einem starken nationalistischen Einschlag will sie die Neutralisierung Deutschlands, und sie will den Fortschritt in der Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und in der Integration Europas verhindern." Gegen den sowjetischen Vorschlag nationaler gesamtdeutscher Streitkräfte wandte er ein, daß unter den gegebenen technologischen Bedingungen jede Möglichkeit fehle, sie mit modernen Waffen auszurüsten und zur Verteidigung Gesamtdeutschlands zu befähigen. "Es gehören ungeheure Summen dazu, auch nur einige Divisionen auszurüsten, an die wir gar nicht denken können, und deshalb ist dieser Teil der sowjetischen Note nichts weiter als Papier und sonst gar nichts!
Aber die Note ist da, und sie muß beantwortet werden, und sie bedeutet, wenn auch in viel geringerem Maße, als man das allgemein glaubt, doch einen gewissen Fortschritt, und darum dürfen wir keine Möglichkeit außer acht lassen, zu einer friedlichen Verständigung zu kommen und eine Neuordnung in dem von mir beschriebenen Sinne zu bekommen. Aber auf der anderen Seite dürfen wir unter gar keinen Umständen zulassen, daß eine Verzögerung in der Schaffung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft Platz greift; denn eine solche Verzögerung würde wahrscheinlich auch das Ende dieser gemeinsamen Bestrebungen bedeuten ...
Wenn diese Dinge jetzt nicht zu Ende gebracht werden, dann sind sie nach meiner Auffassung ein für allemal vorbei, und darum wiederhole ich: Der allgemeine Standpunkt gegenüber dieser Note muß sein: Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß jede Möglichkeit, bald zu einer Neuordnung Osteuropas zu kommen, ausgenutzt werden muß. Wir dürfen aber ebensowenig ein Werk, wie es sich jetzt der Vollendung nähert, zum Stillstand bringen; denn dann würden die Dinge sehr schlimm werden.
Ziel der Politik der Bundesregierung - so schloß Adenauer -müsse es sein: "Wir wollen, daß der Westen so stark wird, daß er mit der Sowjetregierung in ein vernünftiges Gespräch kommen kann, und ich bin fest davon überzeugt, daß diese letzte sowjetrussische Note ein Beweis hierfür ist. Wenn wir so fortfahren, wenn der Westen unter Einbeziehung der Veinigten Staaten so stark ist, wie er stark sein muß, wenn er stärker ist als die Sowjetregierung, dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Sowjetregierung ihre Ohren öffnen wird. Das Ziel eines vernünftigen Gesprächs zwischen Westen und Osten aber wird sein: Sicherung des Friedens in Europa, Aufhören von unsinnigen Rüstungen, Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und eine Neuordnung im Osten. Dann endlich wird die Welt nach all den vergangenen Jahrzehnten das werden, was sie dringend braucht: ein langer und sicherer Frieden!"
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